Raphaela Vogel, Found Subject: Passante oder Sekante sein

Raphaela Vogel
Raphaela Vogel, Ausstellungsansicht „Found Subject“, Heidelberger Kunstverein, 2024, Foto: Tanja Meissner, Karlsruhe, Courtesy & © Heidelberger Kunstverein
Review > Heidelberg > Heidelberger Kunstverein
25. April 2024
Text: Annette Hoffmann

Raphaela Vogel, Found Subject.
Heidelberger Kunstverein, Hauptstr. 97, Heidelberg.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 12. Mai 2024.
www.hdkv.de

Raphaela Vogel
Raphaela Vogel, Tränenbinnenmeer, 2019, Foto: Tanja Meissner, Karlsruhe, Courtesy & © Heidelberger Kunstverein
Raphaela Vogel
Raphaela Vogel, Ausstellungsansicht „Found Subject“, Heidelberger Kunstverein, 2024, Foto: Tanja Meissner, Karlsruhe, Courtesy & © Heidelberger Kunstverein
Raphaela Vogel
Raphaela Vogel, Ausstellungsansicht „Found Subject“, Heidelberger Kunstverein, 2024, Foto: Tanja Meissner, Karlsruhe, Courtesy & © Heidelberger Kunstverein

In Situationen schwieriger Entscheidungen soll es manchen helfen, Listen zu schreiben. Raphaela Vogel (*1988) hat gleich eine komplette Grafik in Form eines Kreises erstellt, der durch verschiedene Linien geschnitten, berührt oder lediglich passiert wird. Ein Still aus ihrer zentralen Videoarbeit im Heidelberger Kunstverein füllt diesen Kreis. Im oberen Feld des Faltreflektors, der an einer Stange aufgehängt ist, steht die Legende dazu. Sie ist abgeleitet vom Verhalten der Deutschen während des Nationalsozialismus, sie taugt aber auch als Analyse für die Gegenwart. „Die Geometrie des Geschehens“, heißt es da: „Zentrale: Die im Zentrum der Kämpfe stehen, als Angegriffene, Verfolgte, Flüchtende, Opfer. Sekante: Die Solidarischen, die etwas riskieren – mitunter das eigene Leben. Tangente: Die bloß Mitfühlenden. Passante: Die unbeteiligt Zuschauenden“.

Erich Hopp (1888-1949) gehörte zur ersten Gruppe. Der jüdische Autor und Übersetzer ist das eigentliche Zentrum der Ausstellung „Found Subject“, die in einer ganz ähnlichen Konstellation bereits in Vogels Berliner Galerie BQ im letzten Herbst zu sehen war. 1942 tauchte Hopp in Berlin unter, getrennt von seiner Familie, mit der er sich ein Jahr später in einem Haus im brandenburgischen Eichwalde wieder vereinte und wo er das Ende des Krieges erlebte. 1949 starb er an den gesundheitlichen Folgen der Jahre im Untergrund.

Mit der Soundinstallation „Elephant’s Memory“ hat Vogel 2023 bereits an Hopp im damaligen Berliner Scheunenviertel erinnert, wo hundert Jahre zuvor ein Pogrom gegen dessen jüdische Bewohner stattfand. In Heidelberg wird das Video auf zwei einander zugewandten Hälften eines alten Öltanks projiziert, was den Fischauge-Effekt des Filmes noch unterstreicht. Von der Empore hängen Rindshäute mit LED-Lichterketten, die auf die Bewegungen der Besucherinnen und Besucher reagieren. Während Vogel im Film durch das sommerliche Eichwalde läuft, das Haus betritt, in dem sie mittlerweile selbst wohnt, und sich die Folge der Räume wie zu einem Schneckenhausgewinde verfremden, hört man Vogel singen. Die Künstlerin hat einen der Psalmen vertont, die Hopp 1942 im Versteck geschrieben hat und die nach dem Krieg veröffentlicht wurden. Sie sind geprägt durch expressionistisches Pathos und die existentielle Bedrohung, der Hopp eine religiöse Hoffnung entgegensetzt. Verse wie „Ja, Gottes Odem ist die Macht,/Der Glaubenshort der Erde!/Drum wahrt den Funken, blast und facht!/Daß er zur Flamme werde!“ hört man in Vogels Singsang fast überall im Heidelberger Kunstverein.

Raphaela Vogels oft eklektisch wirkende Kunst ist durchaus anschlussfähig für diesen hohen Ton. Im Untergeschoss des Heidelberger Kunstvereins schafft sie auf weiteren Faltreflektoren ein Panorama von herabstürzenden Adlern, Menschen, die aufgespießt werden, während andere auf einem Seil über Häuserschluchten balancieren. Durch die runde Form wirken diese expressiv gemalten, nebeneinander aufgereihten Bilder wie Weltentwürfe. In der Mitte befindet sich eine Skulptur, deren Sockel aus einem weiteren Erdöltanksegment besteht. Die Figur hält Jehuda Riemermanns 1947 erschienenes Buch „Strafen oder heilen?“ hoch, an der deutschen Ausgabe des „psychopädagogischen Beitrags zur zeitgenössischen Amoralität“ hatte Erich Hopp mitgearbeitet. Das Vergangene war also nicht tot.

In der Installation „Kunstabzugshaube“ aus dem Jahr 2023 unterzieht Raphaela Vogel ihre eigene Kindheit und ihre Erinnerung einer Überprüfung. Auf dem in die Haube eingelassenen Monitor sieht man eine Familie beim Skifahren, auf Urlaubsreisen, ein Kind mit Hund, eine Überblickskarte eines Erholungsgebietes, ein bisschen Pop-Art: typisches Freizeitverhalten. Kurz, die bundesrepublikanische Wirklichkeit der 1980er und 1990er Jahre. Soweit also ganz normal.