Gert & Uwe Tobias: To bid the dog goodbye.
Overbeck-Gesellschaft, Kunstverein Lübeck, Königstr. 11, Lübeck.
Dienstag bis Sonntag 10.0 bis 17.00 Uhr.
Bis 19. Mai 2024.
[—artline Nord] Sich zu verabschieden fällt meistens nicht leicht. In eine andere Stadt umziehen, Freunde gehen lassen, den Tod von lieben Menschen akzeptieren – all das sind große Abschiede. Doch auch die Trennung von banalen Dingen und bequemen Gewohnheiten wie dem Autofahren oder Fliegen oder dem selbstverständlich erscheinenden Gebrauch von natürlichen Ressourcen wie Öl und Gas, vom sicher geglaubten Wohlstand für alle und vom ewig andauernden europäischen Frieden fällt den Menschen nicht leicht. Dennoch gehört es zu den alltäglichen Erfahrungen, auf Wiedersehen sagen zu müssen.
Schon immer versucht daher die Kunst, diesem Gefühl ein Format zu verleihen. Die Kunstgeschichte ist voll von ästhetischen Vehikeln, um den Betrachtern Trost im Moment des Abschieds zu spenden. Wichtig ist da unter anderem die Vanitas-Ikonographie von Beginn der frühen Neuzeiten bis zum Barock. Im Mittelpunkt dieser Bildrhetorik steht die Auffassung, der Mensch keine Gewalt über das Leben hat. Dabei ist nicht das Vergehen per se negativ behaftet, sondern der menschliche Versuch, das Vergängliche vorzeigen und festhalten zu wollen. Totenschädel, ein leeres Glas, die erlöschende Kerze, die Sanduhr, kostbarere Schmuck, überreifes exotisches Obst und die verwelkte Blume – dies sind die häufigen Vanitas-Attribute in der bildenden Kunst, die das zukünftig Abwesenden im Kunstwerk sichtbar machen wollen.
Das Künstler-Brüderpaar Gerd und Uwe Tobias knüpft mit seiner aktuellen Ausstelllung im Pavillon der Lübecker Overbeck-Gesellschaft an diese Überlegungen fan. „To bid the dog goodbye“ heißt die Schau der Zwillinge, die 1973 im rumänischen Brasov geboren wurden geboren und ihre Ausbildung an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig absolviert haben. Seit ihrem gemeinsamen Abschluss arbeiten sie zusammen an Zeichnungen, Keramiken, Holzschnitten und Gemälden. Sie beschäftigen sich mit den Möglichkeiten, eben jene kunsthistorisch tradierten Bildthemen und -medien in eine zeitgemäße Formensprache zu übersetzen.
Der Titel „Den Hund zu verabschieden“ ist einem Song des französischen Singer-Songwriters Raoul Vignal entliehen und beschäftigt sich ästhetisch mit genau jenen vergänglichen Momenten irdischer Schönheit. Entstanden sind die zu gleichen Teilen großformatigen und kleinformatigen Arbeiten vorwiegend während der Corona-Pandemie, in der wohl jede und jeder mit irgendeiner Form des Abschieds konfrontiert war – und wenn es nur der Abschied von der persönlichen Freiheit auf Zeit war.
Dem Duo geht es neben dem Verlust von Menschen und Freiheit auch um den Verlust des Menschlichen angesichts der sich in der Coronazeit entwickelten scharfen Diskussionskultur. Hierfür zitieren sie eben jene klassischen Vanitas-Motive, Memento Mori und Votivbilder, insbesondere in den großformatigen Stillleben. Diese sind bei näherem Hinsehen durch eine Morbidität des Floralen und eine Maskenhaftigkeit des Grotesken markiert und erinnern deutlich an die Figurationen von Flora und Fauna eines Hieronymus Bosch. Dennoch fehlt bei den Tobias-Brüdern der Tiefenaufbau im Bildgrund. Es eröffnet sich kein illusorischer Bildraum in den Arbeiten, die allesamt ohne Titel in den lichten Räumlichkeiten des Pavillons präsentiert werden. Die dargestellten amorphen Motive – es sind ausschließlich fantastische Lebewesen und Pflanzen – scheinen so im Bildraum zu schweben. Damit haftet ihnen eine gleichsam sakrale Qualität an, die als Bindeglied zwischen dem Leben und dem Tod fungiert.
Auch durch dieses Stilmittel, das Paradoxon, reihen sich Gerd und Uwe Tobias mit ihren Arbeiten in die Vanitas-Darstellungen der Postmoderne ein. Das Vergängliche wird dadurch in ihren Arbeiten festgehalten und scheint zum Greifen nah, bleibt aber dennoch unwirklich und somit ästhetisch.