The Senses of Plants/Die Sinne der Pflanzen: Was denkt eigentlich die Entengrütze?

Senses of Plants
María Castellanos & Alberto Valverde, Beyond Human Perception, 2020, Foto: María Castellanos & Alberto Valverde, Courtesy the artists
Preview > Esslingen > Villa Merkel
15. April 2024
Text: Lea Lotterer

The Senses of Plants / Die Sinne der Pflanzen.
Städtische Galerie Villa Merkel, Pulverwiesen 25, Esslingen.
Dienstag, Mittwoch, Samstag und Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag und Freitag 12.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 2. Juni 2024.
www.villa-merkel.de

Senses of Plants
Patricia Domínguez, Matrix Vegetal, 2021/2022, Videostill, Courtesy the artist
Senses of Plants
Špela Petrič, PL'AI, 2020, Installationsansicht, Foto: Hana Josič, Courtesy the artist

Die thematische Gruppenschau „The Senses of Plants / Die Sinne der Pflanzen“ in der Esslinger Villa Merkel lädt dazu ein, unseren anthropozentrischen Standpunkt zu verlassen und – eine der großen Herausforderungen unserer Zeit – eine neue Perspektive einzunehmen: die unserer pflanzlichen Mitlebewesen. Die Ausstellung präsentiert zeitgenössische Positionen von 14 internationalen Künstler:innen, welche zur Sensibilität im Umgang mit scheinbar objekthaften, stummen Organismen wie Pflanzen aufrufen und die Möglichkeiten von Gefährt:innenschaft mit Pflanzen neu auszuloten versuchen. Die Arbeiten, bei denen es sich überwiegend um Installationen handelt, stellen zur Debatte, welche Konsequenzen sich aus den neuen Forschungen, dem Wissen um das Sinnesvermögen von Pflanzen, für unser Denken und Handeln als Menschen im Zusammenleben mit Pflanzen ableiten.

Ist es richtig, den Tisch mit Schnittblumen zu schmücken? Sollten wir unseren halbvertrockneten Zimmerpflanzen vielleicht doch mehr Zuwendung schenken? Wenn Pflanzen über Intelligenz, Gedächtnis und die Fähigkeit zur Kommunikation verfügen, unterscheidet sich eine vegane Lebensweise dann noch so sehr von einer omnivoren? Ganz gleich wie die Antworten auf diese Fragen ausfallen, feststeht, dass wir Menschen in existenzieller Abhängigkeit zur Pflanzenwelt leben. Sie sind uns Sauerstofferzeuger und Nahrungsspender.

Den jüngeren wissenschaftlichen Erkenntnissen, dass auch Pflanzen über Sinnesorgane verfügen, nämlich über mehr und andere als wir Menschen, wird gleich beim Betreten der Ausstellung mit der Installation „Beyond Human Perception“ von María Castellanos (*1985) und Alberto Valverde (*1953) Rechnung getragen. Doch schon auf dem Weg zur Villa selbst lädt die Installation „Duckweed“ von Suzette Bousema (*1995) die Passant:innen des Merkelparks dazu ein, die Perspektive von Entengrütze einzunehmen. Viele der gezeigten Arbeiten können dem Genre der Hybrid Art zugezählt werden, dem Grenzbereich, in welchem Künstler an Schnittstellen und teils mit wissenschaftlichen Methoden und Technologien aus natur- und informationswissenschaftlichen Bereichen wie Biologie, Robotik oder KI arbeiten. Aber auch der rückführende Bogen zur bisherigen Betrachtung von Pflanzen in der Kunst wird gespannt. So reflektiert die Installation „Still Life with Flowers“ der finnischen Künstlerin Elsa Salonen (*1984) die jahrhundertealte Funktion von Blumen als Sujet von Stillleben und denkt das Sujet neu.

Die Schau beleuchtet die pflanzliche Sinneswelt dabei nicht nur von globaler Perspektive, wie es bei Anca Bucurs (*1989) Arbeit „Herbarium“ der Fall ist, wo auf die kolonialgeschichtliche, wirtschaftsimperialistische Historie von botanischen Sammlungen verwiesen wird, sondern hält mit „Spritz – The Taste of Villa Merkel“ von Marisa Benjamim (*1981) auch einen Platz für die lokale Flora bereit. Benjamims Arbeit macht den natürlichen Geschmack essbarer Pflanzen, die im Umfeld der Villa Merkel wachsen, sinnlich erlebbar. Somit spricht die Ausstellung nicht nur die visuellen Sinne ihrer Besucher:innen an, sondern sorgt beim Publikum auch für ein gustatorisches Erlebnis. Die Arbeit „Surrogacy“ der in Slowenien lebenden Multimedia-Künstlerin Saša Spačal (*1978) ergänzt dieses Erleben um eine olfaktorisch-akustische Komponente. Die Klangskulptur veranschaulicht den Verlust biologischer Vielfalt durch menschliche Ausbeutung in Form von Veränderungen an der Pflanzen-DNA, die allein in ökonomischer Absicht vollzogen werden. Indem die Ausstellung die menschlichen Sinne gezielt anspricht, schafft sie Sensibilität für die Belange pflanzlicher Organismen. Der Kuratorin Julia Katharina Thiemann, welche die Gruppenschau im Rahmen des Esslinger Bahnwärter-Stipendiums konzipierte, gelingt hier eine überaus lohnende, vielschichtige Austellung, die so anspruchsvoll wie anregend ist.