Anna Stüdeli

Anna Stüdeli
Anna Stüdeli, Teddy, 2023, Courtesy the artist
Porträt
17. April 2024

Anna Stüdeli u.a. in We The Parasites, A Playbook to Complicity, Page #2.
Alte Fabrik – Gebert Stiftung für Kultur, Klaus-Gebert-Str. 5, Rapperswil-Jona.
Mittwoch 12.00 bis 18.00 Uhr, Samstag bis Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
27. April bis 16. Juni 2024.
www.alte-fabrik.ch

Anna Stüdeli, PRIMAL, Edition Patrick Frey, Zürich 2021, 156 S., 52 Euro | ca. 52 Franken.

annastuedeli.com

Anna Stüdeli
Anna Stüdeli, Doppelseite, aus: PRIMAL, 2021, Courtesy the artist & Edition Patrick Frey, Zürich
Anna Stuedelie
Anna Stüdeli, Stage Fight, 2023, Ausstelllungsansichten „Feast“, in Warte für Kunst, Kassel, Courtesy the artist

Wenn man die Dinge wie unter einer Lupe sieht, dann schauen sie sehr fremd zurück. Während ihres Studiums an der Zürcher Hochschule der Künste lief Anna Stüdeli (*1990) mit der Kamera durch die Stadt. Nach und nach fielen ihr die vielen Werbetafeln auf: die Stadt als kommerzialisierte, durchökonomisierte Zone. Am Anfang fotografierte sie diese analog, dann digital, sie setzte das Projekt in Paris und Hamburg fort. Auf 1200 Fotos ist ihr Archiv angewachsen Vor drei Jahren veröffentlichte sie 120 dieser Aufnahmen in der Edition Frey unter dem Titel „PRIMAL“. Stüdeli hat sie von nah fotografiert und fragmentiert, indem sie den Schwerpunkt auf das Gesicht legte, genauer auf die Haut, die Motive wirken verfremdet. Das Projekt sei eine „Hommage an die Lust“ hatte Stüdeli, die in Bern geboren und in Solothurn aufgewachsen ist, einmal erzählt. Mit all ihren Ambivalenzen. Man weiß nicht recht, ob es der Mensch ist, der so fremd wirkt, oder ob sich hier einfach das unschöne Gesicht des Kapitalismus offenbart. Denn alles, was sich Stüdeli genauer ansah, selbst die Werbung für Milchpulver, hatte plötzlich etwas Pornografisches an sich. Nun könnte man jetzt die Schulter zucken und sich darauf zurückziehen, dass unser Wirtschaftssystem nun einmal so funktioniert, doch die Schweizer Künstlerin wollte es ein bisschen genauer wissen und unter die Oberfläche der Bilder schauen. Die Zahl 1200 spricht für sich.

Vor kurzem hat sich Anna Stüdeli noch einmal intensiver in diesen Werkkomplex vertieft. Für die neueren Arbeiten hat sie die Werbeanzeigen collagiert, indem sie diese zerrissen und in einen neuen Kontext gesetzt hat, sie hat sie reproduziert, sich angeeignet und auf Plakatträger montiert. Ein wenig erinnern diese Arbeiten an die abgerissenen Plakate der Affichisten im Paris der späten 1940er bis 1960er Jahre. Doch deren Décollagen standen einerseits unter dem unmittelbaren Eindruck des Zweiten Weltkriegs und suchten womöglich nach den historischen Bedingungen der Gegenwart. Anderseits standen sie unter dem Einfluss des Surrealismus und des sich entwickelnden Informels. Bei Stüdeli sind es wohl weniger formale Aspekte, die sie interessieren, wobei auch die Wiederholung eines Motivs irgendwie unheimlich wirken kann. Eher sucht sie in der Durchlässigkeit des Bildes die Ambivalenz als Triebfeder. Sticker am Rahmen und Sprühfarbe wirken wie ein ironischer Hinweis auf die Streetcredibility der Arbeiten. 2023 war sie mit ihnen an der Ausstellung „Ja, wir kopieren“ im Kunstmuseum Solothurn beteiligt, vier Jahre zuvor hatte sie den Solothurner Kunstförderpreis erhalten.

Mit ihrem Studium in Hamburg, das sie 2021 mit dem Master abgeschlossen hat, sind Stüdelis Arbeiten skulpturaler und objekthafter geworden. Dabei ist sie der Spur der Ambivalenz gefolgt und hat Pferdehaar für sich als Material entdeckt. Wie die Großaufnahmen der Haut so repräsentiert auch Haar diesen doppelten Charakter von Anziehung und Abstoßung. Nicht grundlos erinnert der Titel ihrer Arbeit „Sir Lancelot“ an den gleichnamigen Ritter der Tafelrunde. Sie besteht aus mehreren geflochtenen Zöpfen aus schwarzem Pferdehaar, die auf dem Boden aufliegen. Bei „Sugar“ ist die sexuelle Konnotation deutlicher. Der schwarze Zopf aus Pferdehaar ist hier an eine Maschine gekoppelt, die den immer gleichen stoßenden Rhythmus produziert und er endet in einer Art Mopp, der aber auch eine Peitsche sein könnte. Vitalität und Unbehagen schließen sich in den Arbeiten von Anna Stüdeli nicht aus, unabhängig welches Medium sie nutzt. Daraus entsteht eine ganz eigene Dynamik.