Kunsthaus Göttingen, Düstere Str. 7, Göttingen
Donnerstag 15.00 bis 20.00 Uhr, Freitag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 21. April 2024.
[—artline Nord] In der Dunkelheit flirren Irrlichter, vielfach gebrochen durch bunte, gläserne Konstruktionen und trügerische Reflexe. Die Grenzen des Raumes lösen sich auf, ebenso die Gewissheiten örtlicher und temporaler Verankerung. In ihrer immersiven, eigens für das Kunsthaus Göttingen entwickelten Ausstellung nimmt Emilija Škarnulytė (*1987) die Besucher:innen mit auf eine retrofuturistische Reise in die verborgenen Weiten einer posthumanen Welt. In Vinius geboren, studierte die litauische Künstlerin und Filmemacherin zunächst an der Kunstakademie Mailand, machte ihren Master an der Kunstakademie in Tromsø, Norwegen, und ist heute international tätig.
In Göttingen erkundet sie – aus der Warte der „Tiefenzeit“ in eine längst vergangene oder auch zukünftige Gegenwart blickend – in geheimnisvollen dystopischen Landschaften und aquatischen Regionen, was nach dem Ende der Menschheit, wie wir sie kennen, übrigbleiben wird: die technoiden Hinterlassenschaften und toxischen Einschreibungen des Anthropozäns, die automatisierten Ruinen eines längst von sich selbst überholten Fortschritts, die kühle, unheilvolle Ruhe nach dem Sturm. In Zusammenarbeit mit dem Architekten Linas Lapinskas schuf Škarnulytė hier einen installativen, audiovisuellen Parcours über drei Ebenen des Kunsthauses, der vom Mikro- bis zum Makrokosmos, von der Unterwasserlandschaft bis zum Blick auf die Erde und ins feinstoffliche Terrain extraterrestrischer Energieströme reicht. Die Betrachtenden werden mitgenommen in die mythisch-sprachige Wirklichkeit solitärer Nixen-Wesen, die sich auf kaleidoskopisch verschränkten Wasserflächen aufeinander zu und wieder voneinander fortbewegen. Rohrsysteme und technische Konstruktionen vervielfältigen sich ins Unendliche in einer nächtlichen Sphäre weit unter dem Meeresspiegel. Menschenleere Ausdehnungen wirken wie karge Areale auf fernen Planeten. Im Mittelpunkt der gleichermaßen mesmerisierenden wie beunruhigenden Schau stehen die Videoarbeiten „t ½“ (2019) und „Rakhne“ (2023). Während erstere auf realen Aufnahmen aus einem stillgelegten Kernkraftwerk in Litauen, nuklearen U-Boot-Kanälen am Polarkreis sowie 3D-Fernerkundungsimages eines japanischen Neutrino-Observatoriums und des CLOUD-Experiments am CERN in Genf basiert, entspringt letztere computergenerierten Bildern, untermalt von KI-gestützter Musik. In ihrer künstlerischen Erforschung geologischer, politischer, ökologischer, digitaler und kosmischer Phänomene stellt Škarnulytė die morgigen Auswirkungen unserer heutigen Entscheidungen in Aussicht: resultierend in einer Erde, die möglicherweise besser ohne uns auskommt, als wir dies ohne sie zu tun vermögen.