AM I A MONSTER?
Kunstverein Bielefeld, Welle 61, Bielefeld.
Montag bis Mittwoch nach Vereinbarung, Donnerstag bis Sonntag 12.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 28. April 2024.
Die Trutzburg der Kunsthalle Bielefeld in der Dämmerung, für heute erloschen die Lichter, die endlich der malerischen Abstraktion von weiblicher Hand die angemessene Bühne bereiten. In ihrem Schatten, doch jetzt erleuchtet daraus hervortretend – der Kunstverein. Flugs durch den Skulpturenpark, „AM I A MONSTER?“ lockt, es ist Eröffnung. Anruf eines Freundes aus Düsseldorf. „Wo? – ach Ostwestfalen“, ich höre ihn abwinken, wohl eher nicht so seins. Der Kunstverein aber beweist: Falsch! Aber sowas von. Kunstverein Bielefeld going strong, strong, strong! It’s so much fun, fun fun!, so klänge es im Sound des Videoloops, der unterm Dach des Ausstellungshauses über eine Billboard-große Leinwand zappt. Ein Panorama US-amerikanischer Perlen des Trash-TV hat Chloe Wise (*1990) zusammengeschnitten, im Stil all dessen, was das Kabelfernsehen zu später Stunde an einsame Seelen versendet(e), Werbespots im Vintage-Look inklusive. Wer für seine Seminararbeit zu Susan Sontags „Notes on Camp“ noch ein Beispiel sucht: et voilà. Sie hat’s in der All-American-Cheesyness dieses TV-Remixes gefunden. Gerade heute ließe sich so retro-chic wieder sehr erfolgreich werben.
Bei einem Kolloquium der Kunstakademie Münster bemerkte Kunstkritiker Benjamin Buchloh kürzlich, dass „Unversöhnlichkeit“ für ihn ein wichtiges Charakteristikum guter Kunst sei. Will sagen: Kunst im Schaufenster von Louis Vuitton habe, so Buchlohs Auffassung, ihren Status als solche verspielt. Wises Videocollage ließe sich eine solche Entschiedenheit nicht unterstellen; ihr Sendeplatz liegt eher im Dazwischen von Affirmation und, sagen wir, Reflexion – ein Vexierbild in Video, wenn man so will.
Gleich nebenan findet Ronny Szillo (*1978) in jenem Geiste eine andere, passende Form: Er hat, und das sieht ebenfalls sehr gut aus, so allerhand kontemporäres Plastikzeugs, vor allem aber Sneaker des Sportswear-Riesen Nike in Beton gegossen. Eine „zukünftige Archäologie“ – das wird man also irgendwann mal von uns, der Spezies Mensch, als Überreste finden. An Warhols „Time Capsules“ lässt sich denken, an Daniel Arshams „Future Relics“ ebenso. Jede Wette, dass bei Szillo das Telefon klingelt (oder die Insta-DM reinkommt), sobald die Trendscouts aus Beaverton, Oregon und ihre Agenten in Berlin-Mitte seine Arbeit aufgespürt haben. Jene „Future Archaeology“ gäbe ein ausgesprochen reizvolles Interiordesign für einen Flagshipstore der Marke ab. Ein schöner Prüfstand für die Unversöhnlichkeit auch seiner Kunst.
Very contemporary ist ebenfalls das malerische „No man’s land“, in das sich Anaïs Goupy (*1987) aufmacht: Postings von Social Media-Ikonen wie Kendall Jenner, Kim Kardashian und Bella Hadid dreht sie mittels Künstlicher Intelligenz durch den digitalen Fleischwolf, überblendet sie mit malereihistorischen Preziosen und bringt sie schließlich per UV-Druck auf die Leinwand; als Malerei – in betörend-verstörendem Look. Goupy ist eine der vielen Entdeckungen, die man in Bielefeld machen kann. Überhaupt ist die Ausstellung von Undine Rietz präzise kuratiert, es reiht sich ein starkes Werk dialogisch reizvoll ans nächste. Man kann interessierten Galerist:innen nur Glück wünschen, bei diesen Mittdreißigern landen zu können, die gesamte Künstler:innenliste – auch Christian Theiss (*1988), Diane Haefner, Jonas Monka (*1986), Lenn Blaschke (*1990), Mary-Audrey Ramirez (*1990) – eine Watchlist.
Ist der Schwebezustand des Dazwischen-seins nicht überhaupt ein Signum unserer Tage? Wenn’s etwa im Sinne der „Workation“, der Verschmelzung von „Work“ und „Vacation“, mit dem Laptop an den Strand geht, um dort das Homeoffice clever zu Ende zu denken. Da am Strand dürfte sich dann jenes Gefühl einstellen, das sich auch in der Schau vermittelt. Die Radikalität einer „Unversöhnlichkeit“ dagegen zu stellen, ist stark und reizvoll. Die in Bielefeld antretende Künstlergeneration scheint allerdings in einem irgendwie fluideren, eben ambivalenteren Gestus unterwegs zu sein.