Susanna Fanzun, Die Giacomettis: Nationaler Mythos und Family Affair

Giacometti
Die Giacomettis Giovanni und Annetta mit ihren Kindern Alberto, Diego, Bruno und Ottilia, Foto: Andrea Garbald, Arsenalfilm
Thema
27. Februar 2024
Text: Redaktion

Die Giacomettis, Schweiz 2023, 100 Min., Regie: Susanna Fanzun, OmU

Augusto Giacometti: Freiheit / Auftrag, Aargauer Kunsthaus.
Bis 20. Mai 2024.
www.aargauerkunsthaus.ch

Augusto Giacometti: Contemplazione – Arbeiten auf Papier, Bündner Kunstmuseum, Chur.
Bis 28. April 2024.
www.kunstmuseum.gr.ch

Alberto Giacometti. Vis-à-vis Werke aus der Sammlung Klewan, Kunstmuseum Ravensburg.
23. März bis 23. Juni 2024.
www.kunstmuseum-ravensburg.de

Giacometti
Augusto Giacometti, Hamburg, 1927, Erbengemeinschaft Joan-Rosalind Hohl-Barrows, Foto: Charlie Rubin
Giacometti
Augusto Giacometti, Studie zu „Friede“, 1915, Bündner Kunstmuseum Chur, Schenkung Tilla Theus, 2024
Giacometti
Alberto Giacometti, Porträt von Patricia Matisse, 1947, Sammlung Klewan, © Succession Alberto Giacometti, VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Drei Monate im Jahr erreicht die Sonne das Tal nicht. Zum Ausgleich dafür habe Gott den Bergellern die Giacomettis geschenkt, erzählt ein entfernter Verwandter der Familie und lacht. Der Mythos wirkt noch immer. Und auch die Filmemacherin Susanna Fanzun kam schon früh mit ihm in Berührung. Giovanni Giacometti hatte ihr liebstes Kinderbuch illus­triert, es war ein Buch mit Bergeller Märchen. Fanzun, die selbst aus dem Unterengadin kommt, rekonstruiert in ihrem Film „Die Giacomettis“ ein Stück Schweizer Identität. Die Nachbarn in Borgonovo und später in Stampa mögen Bauern gewesen sein – die Giacomettis verklärten die Landschaft oder verließen sie, um in den Metropolen unser Bild von der Moderne zu prägen. Sie wurden Künstler, Designer und Architekten. Doch sie kamen immer wieder zurück und alle sind hier begraben: Giovanni und Annetta Giacometti und ihre Kinder.

Die Geschichte der Giacomettis ist keine, die wirklich wärmen würde. Alberto Giacometti ist ihre dunkle Sonne. Und ein bisschen freut sich die französische Psychoanalytikerin und Autorin Claude Delay fast darüber, dass Alberto beinahe auch eine Annetta geheiratet hätte. Es war bekanntlich eine Annette und allein hierhin scheint schon der Ursprung aller späteren Schwierigkeiten zu liegen. Die mehr als 20 Jahre jüngere Ehefrau wird nach Giacomettis Tod Alleinerbin – trotz der noch jüngeren Geliebten und dem Bruder Diego, der in Paris ein wichtiger Mitarbeiter war. Delay ist eine Vertraute Diego Giacomettis gewesen, der nach dem Tod des Malers und Bildhauers endlich seine eigene Karriere als Möbeldesigner verfolgen konnte. Auch Freunde und Weggefährten wie Ernst Scheidegger und Eberhard W. Kornfeld kommen im Film zu Wort.

Fanzun könnte mit ihrem Film oft in die Tiefe gehen, doch sie deutet nur an. Alberto Giacometti jedenfalls ist nicht ganz unverantwortlich für den Mythos des Künstlers als egomanischer, empathieloser Schaffender. Die Mutter, die Giovanni Giacometti so oft im Mittelpunkt der wärmenden Gemeinschaft der Familie porträtiert hat, bleibt für die Söhne – die Tochter Ottilia starb im Kindbett – eine prägende Figur. Doch vor allem ist da die Landschaft, die gleichwertig neben die Werke, die Aufnahmen des rekonstruierten Ateliers, die Museen und das historische Bildmaterial tritt. Beeindruckenden Naturaufnahmen, oft aus der Vogelperspektive, wird viel Zeit eingeräumt. Die schroffen Berggipfel haben die gleiche Oberfläche wie die Skulpturen Giacomettis.