Orte der Kunstproduktion (XXI): Parents in Arts

Künstlerhof Annemirl-Bauer-Haus im brandenburgischen Fläming, Foto: © Antje Flemming
Thema
8. Januar 2024
Text: Christiane Opitz

Parents in Arts.
Informationen unter hamburg.de

Künstlerhof Annemirl-Bauer-Haus im brandenburgischen Fläming, Foto: © Antje Flemming
Künstlerhof Annemirl-Bauer-Haus im brandenburgischen Fläming, Foto: © Antje Flemming

[— artline Nord] In der Regel sind Reise- oder Residenzstipendien – die zumeist mit einer Präsenzpflicht einhergehen – nur für eine bestimmte Art von Künstler:in gemacht. Um mehrere Wochen oder gar Monate an einem Ort seiner/ihrer künstlerischen Arbeit in Ruhe nachgehen zu können sollte man am besten jung sein und (noch) nicht dem Druck erwerbstätiger Arbeit unterliegen. Wer sonst kann über einen längeren Zeitraum einer Arbeitsstelle physisch fernbleiben? Generell gilt: Je weniger Verpflichtungen und Einschränkungen sozialer, ökonomischer, gesundheitlicher Natur es für einen Kunstschaffenden oder eine Kunstschaffende gibt, desto besser ist er/sie für ein Aufenthaltsstipendium geeignet. Denn je weniger Ablenkung, desto höher die Chance sich mit voller Konzentration auf die Arbeit fokussieren zu können. Künstler:innen, die gleichzeitig Care-Arbeit leisten, sehen in der Regel keine Möglichkeit sich für ein Stipendium, welches sich außerhalb ihres Sorge- und Arbeitsradius (Zuhause, Kita/Schule, Atelier) befindet, zu bewerben. Die Lebensrealität mit Kindern und eine Karriere im künstlerischen Feld sind auch so kaum unter einen Hut zu bekommen – im geförderten Segment „Stipendien“ aber zeigt sich diese Unvereinbarkeit besonders eklatant.

Dass es auch anders geht, zeigt die Hamburger Behörde für Kultur und Medien. Um Mütter und Väter aus den Bereichen Bildende Kunst und Literatur besser zu unterstützen wurde nun das Residenzprogramm „Parents in Arts“ ins Leben gerufen, welches 2024 erstmals ungesetzt wird. Ausgeschrieben werden sechs zweiwöchige Arbeitsaufenthalte auf dem Künstlerhof Annemirl-Bauer-Haus im brandenburgischen Fläming.  Die Stipendien sind wahlweise mit oder ohne Kinder anzutreten – eine professionelle Kinderbetreuung ist gewährleistet. Idee und Konzept für diese längst fällige Form des familienfreundlichen Arbeitens stammt von den Autorinnen Julia Ditschke und Friederike Gräff, sowie der Künstlerin Marcia Breuer. Letztere prangerte 2019 mit ihrem Manifest „Mehr Mütter für die Kunst“ die strukturellen Hürden und Barrieren des Kunstsystems an, die es Müttern unmöglich machten, eine künstlerische Karriere zu verfolgen. Seitdem haben knapp 1900 Menschen das Manifest unterzeichnet.

Dass Sorgearbeit eine essentielle gesellschaftliche Säule ist, wurde nicht zuletzt in der Coronazeit augenscheinlich. Plötzlich standen – wenn auch nur für kurze Zeit – Arbeitende in Pflege, in Krankenhäusern und in der Bildung im Fokus. Es gab Applaus für ihre wichtige, aufopfernde Arbeit, die sie ohne faire Entlohnung ausübten. Und auch die Kunstinstitutionen machten ihre Räume frei für Positionen zur Care-Arbeit. Im Rahmen der 11. Berlin Biennale, die 2020 unter dem Motto „Der Riss beginnt im Inneren“ trotz strenger Auflagen stattfand, präsentierte die Feministische Gesundheitsrecherchegruppe (bestehend aus den Künstlerinnen und Müttern Inga Zimprich und Julia Bonn) ihre Forschungsergebnisse zu Biopolitik und Themen der feministischen Gesundheitsversorgung. Etwa zur gleichen Zeit widmeten sich der Kunstverein Hildesheim („Caring Structures“) und auch das M1 Hohenlockstedt, hier sogar mit dem Jahresthema, dem Sujet „Care“ — und mit der Ausstellung „Motherhood“ fokussierte sich das Syker Vorwerk 2022/23 explizit auf Mutterschaft und Kunst.

Die Probleme mit der Vereinbarkeit von Arbeit und Kindererziehung, insbesondere im Falle betroffener Künstler:innen liegen auf der Hand. Indem die Kulturbehörde nun eine Anpassung von Residenzbedingungen an familiäre Zusammenhänge vornimmt trägt sie diesem Umstand Rechnung. Mehr noch: Das Stipendium „Parents in Arts“ ist ein erster, großer Schritt zu gerechteren Arbeits- und Verteilungsstrukturen im künstlerischen Feld.