Who’s afraid of Stardust? Positionen queerer Gegenwartskunst: Jenseits der Normativität

Stardust otakar Skala
Otakar Skala, Haus of Skala, Performance, 2020-23, © Otakar Skala, Foto: Josefa Schundau
Review > Nürnberg > Kunsthalle Nürnberg
5. Januar 2024
Text: Ronald Kiwitt

Who’s Afraid Of Stardust? Positionen queerer Gegenwartskunst.
Kunsthalle Nürnberg, Lorenzstr. 32, Nürnberg.
Kunsthaus Nürnberg, Königstr. 93, Nürnberg.
Dienstag, Donnerstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr ,Mittwoch 11.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 11. Februar 2024.
www.kunstkulturquartier.de

Stardust
Thilo Westermann, Brandon Elizares, 2014, © Thilo Westermann / VG Bild-Kunst, Bonn 2023
Stardust
Leigh Bowery, Session VI, Look 31, 1992, Courtesy Galerie Albrecht, Foto: Fergus Greer
Stardust Andreas Oehlert
Andreas Oehlert, Ohne Titel (h.c., Version B), 2023 / Stagebeauty 10, 2010, © Andreas Oehlert, VG Bild-Kunst Bonn, 2023, Foto: Annette Kradisch

Die internationale Gruppenschau „Who’s Afraid Of Stardust?“, die das Kunsthaus und die Kunsthalle Nürnberg gemeinsam zeigen, thematisiert mit Arbeiten von 30 Künstler*innen Aspekte queeren Lebens und leistet durch die Vielfalt der Perspektiven einen wichtigen Beitrag zur aktuellen Diversitätsdebatte. Die von Matthias Dachwald, Anne Schloen und Harriet Zilch kuratierte Ausstellung reflektiert eine gesellschaftliche Realität, in der eine nie dagewesene Sichtbarkeit von Queerness dennoch kaum darüber hinweg täuschen kann, dass die rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung für nicht-heteronormative Menschen nach wie vor nicht erreicht ist. In der queeren Community vereinen sich heterogene Identitäten, Lebensmodelle und Ausdrucksformen, die von den Künstler*innen thematisiert werden. Sie setzen sich mit Leben und Begehren jenseits der Heteronormativität auseinander, spielen mit Geschlechterrollen und -grenzen und fordern eine Überprüfung normierter Konzepte von Geschlecht und Identität. In beiden Ausstellungen wird dabei bewusst auf eine lineare Erzählweise verzichtet und stattdessen eine Vielzahl künstlerischer Positionen präsentiert, die das Themenfeld aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchten.

Dazu gehören etwa die Fotoarbeiten des Performance-Künstlers und Modedesigners Leigh Bowery (1961-94), der im London der 1980er und 1990er Jahre  durch extravagante Kostümkreationen und Inszenierungen berühmt wurde. Die Videoarbeit „Mrs. Peanut Visits New York“ versetzt die Betrachter*innen ins Brooklyn der frühen Neunziger, in dem Bowery vermummt und in Latina Drag durch die Straßen stolziert und die Kamera die Reaktionen der Passant*innen einfängt. Thilo Westermann (*1980) präsentiert im Kunsthaus drei großformatige Porträts von strahlenden jungen Menschen. Seit 2012 widmet sich der in Berlin lebende Künstler in einer fortlaufenden Serie dem Schicksal junger Menschen, die durch gesellschaftliche Ablehnung und systemische Missstände zum Suizid getrieben wurden. Seine Technik beinhaltet das Punkt-für-Punkt-Ausradieren der Porträts auf rückseitig geschwärzten Glasplatten. Die fertigen Bilder werden gescannt und in siebenfacher Vergrößerung hinter Glas ausgestellt, wodurch eine intime Nähe des Betrachters zu den jungen Menschen entsteht. Der in Nürnberg lebende Performancekünstler Otakar Skala (*1996) präsentiert dagegen Polaroids von Selbstinszenierungen. Inspiriert von Ikonen wie David Bowie, offenbaren seine Fotografien eine faszinierende Verbindung von individuellem künstlerischen Ausdruck und dem Einfluss prominenter Role Models auf die Selbstwahrnehmung. Zur Vernissage trat Skala in gleich zwei Performances auf hohen Pole-Dance-Schuhen auf: bei niedrigen Temperaturen und in kurzer Lack-und-Leder-Garnitur umgarnte er die Besucher*innen im Außenbereich der Kunsthalle, bevor er im neu eröffneten Foyer des Kunsthauses – bedeckt von meterlangen Perlenketten – zu lauten Beats und auf erhöhter Bühne das Publikum durch seinen Tanz faszinierte. In einem separaten Raum der Kunsthalle lockt Andreas Oehlert (*1966) schließlich in einen Wald von Jeansstoff-Säulen mit eingenähten Hosentaschen, aus denen bunte Tücher hervorschauen. In „Ohne Titel (h.c., Version B)“ erkundet Oehlert das Farbkodierungssystem des „Hanky Code“, das in den 1960er-Jahren in Teilen der US-amerikanischen Schwulen-Community sexuelle Vorlieben kommunizierte.

Das Nürnberger Kunstkulturquartier, nach langer Sanierung wieder als Kulturort geöffnet, setzt mit „Who’s Afraid of Stardust?“ ein starkes Zeichen. Zugleich wird der Besucher*innen bereits im Außenbereich von der hohen Fahnenskulptur Heidi Sills „Flagge zeigen“ von 2021 empfangen, die – kürzlich eingeweiht – auf die gesellschaftliche und politische Funktion des Künstlerhauses im Laufe seiner Geschichte verweist. Parallel zur Ausstellung lädt ein umfangreiches Rahmenprogramm dazu ein, queeren Positionen kennenzulernen und somit mögliche Vorurteile kritisch zu befragen. Queere Kunst will einen gesellschaftlichen Diskurs provozieren und genau das ist dem Kurator*innenteam gelungen.