Sarah Albrecht: Reflexionen des Materials

Sarah Albrecht
Sarah Albrecht, We live in a dangerous age, 2023, courtesy the artist, © Sarah Albrecht, Foto: Sarah Albrecht
Porträt
21. Dezember 2023
Text: Stefanie Hunn

Regionale 24.
Außenstelle an-geschlossen.
Delphi_spache, Brombergstr. 17c, Freiburg.
Freitag 18.00 bis 20.00 Uhr, Samstag und Sonntag 16.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 7. Januar 2024.
www.delphi-space.com

Sarah Albrecht
Sarah Albrecht, Family of the year 2, 2023, courtesy the artist, © Sarah Albrecht, Foto: Sarah Albrecht
Sarah Albrecht
Sarah Albrecht, Austellungsansicht Regionale 24, Außenstelle an-geschlossen, 2023, courtesy the artist, © Sarah Albrecht, Foto: Sarah Albrecht
Sarah Albrecht
Sarah Albrecht, o.T., 2023, courtesy the artist, © Sarah Albrecht, Foto: Sarah Albrecht

Kunst muss nicht immer mit inhaltlichen, politischen oder sozialen Aussagen verbunden sein. Sie kann auch formal funktionieren und allein aufgrund ihrer Form kann sie Ausdruck und einen Symbolwert erreichen. Der Studentin der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe Sarah Albrecht (*1996) sind genau diese Aspekte wichtig. Ausgangspunkte ihrer Arbeiten sind Fragen der Kommunikation durch Gesten und Handlungsabläufe. Fluide Prozesse münden in eine Kunst, die auf verschiedene Techniken und Materialien zurückgreift. Sarah Albrechts Werk ist durch eine große Offenheit gekennzeichnet, sie legt sich nicht fest, gleichwertig entstehen Bilder, Texte und Objekte.

Auf der Regionale 24 im Freiburger Delphi_space zeigt Sarah Albrecht in der Gruppenausstellung daher auch fünf sich formal unterscheidende Arbeiten. Ihnen allen gemeinsam ist, dass sie auf etwas zurückgreifen, was Sarah Albrecht sammelt: Erinnerungen, Objekte, Fotos, Materialien, Texte.

Vor allem das Material bekommt einen hohen Stellenwert. So arbeitet sie viel mit Materialien, die sie findet, die schon da waren und die sie dann in einen Moment setzt und im Schaffensprozess erschließt. In einigen Arbeiten reflektiert Sarah Albrecht das Verhältnis von Lüge und Wahrheit, von Kontrolle und Kontrollverlust und veranschaulicht dadurch Ausdrucksmöglichkeiten und Gesten in unserer Gesellschaft.Ohne explizit Partei zu ergreifen, schafft sie Arbeiten, welche die Betrachtenden unmittelbar in das Werk einbinden und zum Weiterdenken anregen.

Symbolisches existiert in allen Gesellschaften, es ist Ausdruck und Teil der Identität und des alltäglichen Miteinanders. Gestalt findet es in Kleidung und Gesten, in Moden. Aber nicht nur Stil wird zu einem Zeichen für eine bestimmte gesellschaftliche Lebensweise, es sind Phänomene gesellschaftlicher Werte, die hier reflektiert werden. Am offensichtlichsten wird dies in der Arbeit „We Live In a Dangerous Age“, die über dem Türrahmen zur Bar im Delphi_space platziert ist. Das Bild basiert auf einer Fotografie aus dem eigenen Fundus. Sie zeigt die Darstellung eines Mannes, welcher mit der Handfläche nach unten gerichtet sein Gesicht abzuschirmen scheint. Schützend, beinahe abwertend erscheint diese Geste und thematisiert zeitgleich das Dominanzverhalten im menschlichen Miteinander, welches sich in Form von Gesten ausdrückt. Albrecht hat bewusst den Platz über dem Türrahmen gewählt. Während man nach oben blickt, schirmt sich der Mann im Bild von den Betrachtenden ab. Er verdeckt sein Gesicht und verschafft sich Anonymität. Dieser Rückgriff liegt für die Künstlerin nahe, denn sie selbst hat in den Anfängen ihres Studiums viel fotografiert und diese Fotografien dienen ihr auch heute noch als Grundlage oder Ausgangspunkt.

Worum es ihr geht, ist die Präsenz des Mediums und seine Ästhetik. Dabei ist Sarah Albrecht sich der Ambivalenz bewusst. Fotografie wird genutzt, um Glaubwürdigkeit zu erzielen. In unserer Gesellschaft ist die Fotografie anscheinend das Mittel einer abbildenden Wahrheit. In den Medien halten Pressefotos die Realität fest und bilden sie ab, um Menschen abzuholen und zu erreichen. Fotografie wird zu einem Informationsmedium. Und selbst in der Kunst schenkt man den Abzügen mehr Glauben als einem Bild, denn der Betrachtende glaubt die Realität zu sehen. Für Albrecht stehen diese Aufnahmen zugleich unter dem Verdacht, zu lügen, eine Täuschung zu sein. Ob es Aufgabe der Kunst ist, am Ende mit Wahrheit oder Täuschung einherzugehen, gilt es für sich auszumachen.

Sarah Albrecht reflektiert dies in ihren Arbeiten, indem sie die Fotografien so stark verändert, dass es den Betrachter*innen nicht mehr möglich ist, herauszufinden, ob dem Werk eine Fotografie zugrunde liegt oder die Fiktion der Malerei. Und genau dies verfolgt sie. Sie möchte den Betrachter*innen die Entscheidung überlassen und nicht darüber aufklären, ob das Werk nun die Abbildung eines realen Momentes oder einer nie stattgefundenen Situation ist. Die Konfrontation mit der Uneindeutigkeit, ob etwas wahr oder gelogen ist, stehen im Zentrum dieser Betrachtungsweise. Sie begegnet uns jeden Tag, zu jeder Zeit: in der Presse und der politischen Agitation. Albrecht konfrontiert die Betrachtenden auf direktem Wege und gibt dem Konflikt eine Form und zeigt die Möglichkeit einer Entscheidung auf. Neben diesem Zwiespalt von Wahrheit und Lüge ist es ihr wichtig auf die Zeichenhaftigkeit der Geste des Mannes zu verweisen.

Neben der Fotografie setzt sich Albrecht, die auch Germanistik studierte, im Rahmen ihrer Kunst mit Texten und Literatur auseinander. Ihre Textinstallation „family of the year“ thematisiert dieses Verhältnis von Bild und Text, illustriert das Bild und den Text. Eigene, individuelle und unabhängige Arbeiten werden zu einem Ganzen zusammengefügt und durch das Miteinander erschlossen. Tatsächlich sind Texte oder die Literatur bedeutend für ihre Arbeit. In „family of the year“ vereint sie einen Text, eine ihrer Kurzgeschichten, mit ihrer Fotografie, während „family of the year 2“ auf eine Tischdecke mit Moirémusterzurückgreift, mit der sie eine Kindheitserinnerung verbindet. Als Kind spielte sie oft damit und als ihre Mutter sie aussortierte, behielt Sarah Albrecht sie. So wie sie oft Materialien und Dinge in ihre Sammlung aufnimmt, um zu verfolgen, wie eine bereits vergangene Ästhetik sich immer wieder neu erfindet und wiederholt. Und um später einmal damit zu arbeiten. Und auch hier findet sich wieder ein Spiel aus Täuschung und Wahrheit. Blickt man auf das Werk „family of the year 2“ so assoziiert man zunächst doch andere Materialien und Stoffe, etwa die Struktur von Holz.

Sarah Albrecht bedient sich auf besondere Weise dem Material. Sie arbeitet mit dem, was sie vorfindet oder bereits vorhanden war, und setzt es in einen neuen Kontext. Die wechselseitige Abhängigkeit von Material und Idee einer Arbeit beschreibt die Künstlerin so: „Ich gehe meistens von Texten aus, bilde daraus die Idee und vereinige sie mit dem Material. Man kann sagen, die Idee bestimmt das Material. Dazu suche ich die passenden Materialien. Gleichzeitig sammle ich ständig Material, was zunächst nur formal interessant für mich ist. Auf diese Sammlung greife ich zurück, wenn genau dieses Material Sinn für eine Arbeit ergibt. Es geht also Hand in Hand. Denn jedes Material hat seinen eigenen Charakter, dem sich die Idee beugen muss.“.

Bei „family of the year 2“ wollte sie die Ästhetik und die Bedeutung der Tischdecke, die diese für sie hat, aufgreifen und zugleich stören. Mit Ölfarbe setzt sie deshalb Akzente, die mit einer Lackschicht, welche sich über das ganze Werk verteilt, ergänzt wurden und sich dem Muster der Decke entgegensetzen. Der Farbigkeit der Decke blieb sie treu und schafft so eine Komposition, welche sich in Form und Ausdruck vereint und dem Werk dennoch durch die nachträgliche Bearbeitung eine Störung verleiht. Eine Arbeit aus Schaumstoff aus dem letzten Jahr, welche auf einem Metallpodest steht, spiegelt ihr Interesse an Kontrolle und Kontrollverlust wider. Oftmals stellen sich formale über inhaltliche Fragen und Überlegungen. Als Albrecht den Schaumstoff für ihre Arbeit fand, wies dieser bereits Gebrauchsspuren auf. Für Albrecht waren sie ein interessanter Ausgangspunkt, sie fügte weitere Gebrauchsspuren hinzu, ohne dass die Betrachter*innen nachvollziehen können, welche von ihr stammen und welche älter sind. Auch das Zinkobjekt im Delphi_space hat eine ganz eigene Patina. Die Wandarbeit ist eine Radierungsplatte aus dem ersten Studiensemester, auf die sie nun ein Foto transferiert hat. Die Betrachtenden erkennen einen Faltenrock, Stiefel, Fell.

Sarah Albrecht möchte keine programmatische und aufgeladene Kunst schaffen, sondern eher die Zeichen der Gesellschaft herausfiltern und ihnen Präsenz verleihen. Es ist ein vorrangiges Ziel, Bedeutung und Ästhetik formal zu verarbeiten. Ihr Werk „family of the year“, welches eine Schriftrolle zeigt, versinnbildlicht dies gleichermaßen. Eine Schriftrolle weist auf verschiedene Kontexte. Allein ihr historischer Wandel von einer Papyrusrolle hin zur Nutzung als liturgische Handschrift zeugt von ihrer Vielseitigkeit. Albrecht eröffnet durch dasabsichtliche Einrollen am unteren Ende der Arbeit einen neuen Kontext. Die Betrachter*innen wissen nicht, wann und ob der Text aufhört. Sie wissen nicht, wann er zu Ende sein wird und wie es weitergeht. Lediglich erahnen können sie dies, da das dünne Papier am unteren Ende weiterlaufen wird.

Sarah Albrecht zeigt im Rahmen der Regionale 24 im Freiburger Delphi_space fünf Werke in der Gruppenausstellung „Außenstelle An-Geschlossen“. Die Ausstellung markiert die Einweihung des neuen Ausstellungsraumes und betrauert gleichzeitig den Verlust der Freiburger Außenstelle der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe. Mit der Einweihungsausstellung wird nun bewusst Studierenden aus Karlsruhe die Möglichkeit gegeben, ihre Arbeiten zu zeigen und gleichzeitig auf den Verlust für die Freiburger Kunstszene aufmerksam gemacht.

Stefanie Hunn: Wie kamst du auf die Regionale 24? Fand die Bewerbung im Alleingang oder gemeinsam als Gruppe statt? Und gab es Hilfestellungen durch Professor*innen?
Sarah Albrecht: Die Regionale ist eine Veranstaltung, die unter uns Studierenden an der Akademie bekannt ist. Nachdem mehrere Kommiliton*innen sich dieses Jahr wieder beworben hatten, habe ich mich dazu entschieden, mich erstmals zu bewerben. Wir hatten uns alle einzeln beworben. Dass wir als geschlossene Gruppe der Kunstakademie Karlsruhe im Delphi_space gezeigt werden, lag nicht in unserer Hand. Alle unsere Bewerbungen für Ausstellungen, Stipendien usw. machen wir selbstständig und in Eigenarbeit. Dabei können wir immer um Feedback und Rat fragen.

Stefanie Hunn: Was zeigst du hier auf der Regionale 24 und warum?
Sarah Albrecht: Ich zeige aktuelle Arbeiten: Malerei, Objekt und Text. Gemeinsam haben wir als Gruppe die Ausstellung kuratiert und uns überlegt, welche Arbeiten der einzelnen Positionen wir zeigen wollen.

Stefanie Hunn: Was macht es mit dir, jetzt schon ausstellen zu können, außerhalb des sicheren Umfeldes der Akademie?
Sarah Albrecht: Auszustellen war am Anfang des Studiums ein absurdes Gefühl, es war befremdlich zu wissen, dass die eigenen Arbeiten nun bewertet werden können. Auch wenn man regelmäßiger ausstellt, ist eine Eröffnung jedes Mal wieder aufregend. Im Delphi_Space zeigen wir aber eine Gruppenshow, da ist man nicht ganz allein der Bewertung oder auch Kritik ausgesetzt.

Stefanie Hunn: Wie kamst du zur Kunst und was hat dein künstlerisches Interesse erweckt? Was möchtest du erreichen, wo möchtest du hin?
Sarah Albrecht: Schwierig, das genau zu benennen. Nachdem ich einiges zuvor ausprobiert hatte, bin ich bei der Kunst gelandet. Aber ich denke, das ist fluide und ein Prozess. Momentan arbeite ich neben meinem Studium und unterstütze dabei kuratorische Aufgaben. Dabei möchte ich herausfinden, ob ich mich beruflich weiter theoretisch vertiefen möchte oder meinen Schwerpunkt auf die Praxis lege. Am schönsten wäre es, beides vereinen zu können. Meine künstlerische Arbeit lebt vom Austausch, deshalb wünsche ich mir, dass dieser noch lange bestehen bleibt.

Stefanie Hunn: Du bist in der Klasse Kalin Lindena, inwieweit prägt dich das?
Sarah Albrecht: Ich denke, die Position der eigenen Professor*innen, in meinem Fall Kalin Lindena, ist schon sehr prägend. Dabei hatte ich jedoch nie das Gefühl, dass Kalin mir klare Vorgaben gegeben hat oder mir ihre eigene künstlerische Position vermitteln wollte. Vielmehr hat sie mich durch Fragen zu meiner eigenen Praxis geführt.

Stefanie Hunn: Was kannst du zu deinem Schaffensprozess sagen? Wie gehst du vor? Was ist zuerst da, das Material oder die Idee?
Sarah Albrecht: Ich gehe meistens von Texten aus, bilde daraus die Idee und vereinige sie mit dem Material. Man kann sagen, die Idee bestimmt das Material. Dazu suche ich die passenden Materialien. Gleichzeitig sammle ich ständig Material, was zunächst nur formal interessant für mich ist. Auf diese Sammlung greife ich zurück, wenn genau dieses Material Sinn für eine Arbeit ergibt. Es geht also Hand in Hand. Denn jedes Material hat seinen eigenen Charakter, dem sich die Idee beugen muss.

Stefanie Hunn: Welches Verhältnis haben dein privates Leben und das Künstlerinnen-Dasein?
Sarah Albrecht: Das ist eine gute Frage. Diese zwei Kategorien sind auf eine Art sehr verschmolzen. Gleichzeitig ist es mir wichtig, diese zu trennen. Trotzdem hat es sich mit den Jahren so entwickelt, dass ein Großteil meines Freundeskreises mit der Kunstszene und der Akademie zu tun hat.

Stefanie Hunn: Was verbindet deine Arbeiten und dein Schaffen mit deinem bisherigen Leben?
Sarah Albrecht: Meine eigene Biografie ist kein fester Referenzpunkt für meine künstlerische Arbeit. Aber natürlich kann man die Fragen und Themen, die man behandelt, nicht komplett von der eigenen Biografie trennen.

Stefanie Hunn: Welche Rolle spielen politische oder soziale Fragen und Themen für deine Kunst?
Sarah Albrecht: Meine Kunst ist nicht politisch. Meine Arbeiten sollen ein Angebot an die Betrachter*innen sein. Ich denke nicht, dass Kunst explizit die Aufgabe hat, soziale oder politische Fragen zu behandeln. Aber natürlich spiegeln sich soziale Bedingungen und politische Stimmungen in der Kunst, ihrer Entwicklung und dem Kunstdiskurs wider. Allein, weil die Person hinter der Kunst ja immer ein politisches und soziales Wesen ist. Ich finde es für die Kunst und ihre Szene sehr bezeichnend, dass an Kunstakademien übermäßig viele aus wohlhabenden Verhältnissen studieren.

Text und Interview entstanden im Rahmen der Übung „Kunstkritik: Zeitgenössische Kunst zum Sprechen bringen“ im WS 2023/24 am Kunstgeschichtlichen Institut der Universität Freiburg.