Nadine Cueni: Der systematische Blick

Nadine Cueni, Siebzehn Fragen an dich, 2023, Vieoinstallation, Ausstellungsansicht in der Galerie für Gegenwartskunst, E-Werk Freiburg, Courtesy the artist, Foto: Marc Doradzillo
Porträt
21. Dezember 2023
Text: Daianeira Gak

Nadine Cueni,
im Rahmen der Regionale 24 zu sehen in den Ausstellungen

„Will I Still Perform Tomorrow?“
Kunstverein Freiburg,
Dreisamstr. 21, Freiburg.
Bis 7. Januar 2024
www.kunstvereinfreiburg.de

und

„Tattoos, Kunst auf dem Körper“
Galerie für Gegenwartskunst im E-Werk,
Eschholzstr. 77, Freiburg.
Bis 7. Januar 2024
www.gegenwartskunst-freiburg.de

regionale.org

@ nad_cueni

Nadine Cueni, Heute war ein ausgesprochen guter Tag, 2018, Vieoinstallation, Ausstellungsansicht im Kunstverein Freiburg, Courtesy the artist, Foto: Marc Doradzillo

„Heute war ein ausgesprochen guter Tag“ hört man aus den Kopfhören, während im Freiburger Kunstverein die gleichnamige Zwei-Kanal-Videoinstallation von Nadine Cueni an der Wand flackert. Die Arbeit von 2018 ist zurzeit im Rahmen der Regionale 24 in der Ausstelllung „Will I Still Perform Tomorrow?“ im Kunstverein Freiburg zu sehen, die sich mit der Frage nach Zukunftsentwürfen in krisenhaften Zeiten beschäftigt.

Cuenis Videoinstallation nimmt die Betrachtenden mit nach Peru, wo zahlreiche junge Backpacker-Tourist:innen mehr oder weniger identische, vermeintlich authentische Videos für ihre Travelogs in den Sozialen Medien produzieren. Die Künstlerin unterlegt diese Aufnahmen mit einer Stimme aus den 1990er Jahren, die von nahezu derselben Reiseroute erzählt, aber auch mit der Geschichte eines Drogenabsturzes verbunden ist. Die scheinbare Authentizität der heutigen Social-Media-Reisenden wird von Cueni in einen Kontext gesetzt, der persönliche Erlebnisse und historische Bezüge vereint. Die Montage von Bild und Ton öffnet einen Dialog über die Inszenierung von Lebensmomenten in einer digitalen Welt und die andauernde Suche nach der eigenen Identität.

Eine zweite Arbeit, die ebenfalls im Rahmen der Regionale 24 in der Galerie für Gegenwartskunst im Freiburger E-Werk zu sehen ist, zeigt die künstlerische Vielseitigkeit Cuenis und ihre Auseinandersetzung mit Identität im Kontext individueller Erfahrungen und gesellschaftlicher Trends. „Siebzehn Fragen an dich“ setzt sich mit Tattoos als Kunst auf dem Körper auseinander. Die Idee zu dieser Arbeit liege schon länger zurück, sagt Nadine Cueni. Inspiriert von den Tätowierungen ihres Mannes habe sie erstmals ein breites Interesse für Tattoos als Kunstform entwickelt. Die Arbeit präsentiert sich als Diaprojektion aus gefundenen Fotografien von tätowierten Menschen. Dazu stellt Cueni sich und den Betrachtenden siebzehn Fragen, die dazu anregen sollen, die unterschiedlichen Motivationen, kulturellen Kontexte und persönlichen Geschichten hinter Tätowierungen zu erkunden. „Mich interessiert, welche Vorstellungen auf tätowierte Menschen projiziert wurden und werden. Welche Geschichte haben sie, wie war ihre Kindheit und wo waren sie in den letzten Sommerferien?“ Sehr direkt, sehr alltäglich. Ihre Arbeit erforscht die Spannung zwischen dem Oberflächlichen und dem Privaten, die Cueni an Tattoos fasziniert: „In der Regel kann man sie sehen, sie sind öffentlich, und trotzdem sind sie etwas sehr Intimes. Dieses Dazwischen finde ich sehr reizvoll“, sagt sie.

Nadine Cueni, 1976 in Laufen geboren, hat zunächst Biologie studiert und unterrichtet, bevor sie dann zur Kunst fand. Grund für diesen Wechsel war ihr Interesse am Schreiben und an Aspekten des Ästhetischen, auch in der Natur. Ihren Bachelor und Master absolvierte sie schließlich an der HGK Basel. Die Entscheidung für den Film als Hauptmedium sei organisch gefallen, wie Cueni sagt, auch wenn sie in vielen Medien arbeitet, darunter in Keramik. Ihr zentrales Interesse liegt im Geschichtenerzählen, das oft von biografischem oder autobiografischem Material geprägt ist, in das aufgrund ihres Szudiums der Biologie aber auch naturwissenschaftliche Aspekte einfließen.

Überhaupt ist das Systematische als Aspekt von Cuenis künstlerischem Schaffen kaum zu übersehen. Ob in der Videoinstallation im Kunstverein Freiburg oder in der Projektion im E-Werk – in beiden Arbiten spielt es eine wichtige Rolle. Die präzise Montage von Bild- und Tonmaterial, die sie in ihren Videos einsetzt, oder die Konzeption qualitativer Interviews wie sie in der empirischen Sozialforschung zum Einsatz kommen, zeigen ihre strukturierte Herangehensweise an ihre Themen. Man könnte darin die zentrale Verbindung zwischen ihrem Interesse an Kunst und Biologie sehen.

Nadine Cueni möchte mit ihren Arbeiten keine Antworten geben, sondern Raum für Interpretationen lassen. „Ich finde es wichtig, dass Kunst neue Perspektiven auf das Bekannte ermöglicht“, sagt sie. „Es geht darum, die Dinge so miteinander zu verknüpfen, dass man denkt: Ah, wow, so habe ich das noch nie gedacht“. Oft helfe auch Humor dabei, die Welt anders zu betrachten. „Entscheidend ist für mich, dass es in meiner Kunst kein Richtig und kein Falsch gibt, keine Moral oder Nicht-Moral. Jede Person soll etwas anderes daraus ziehen können.“

Dieser Text entstand im Rahmen der Übung „Kunstkritik: Zeitgenössische Kunst zum Sprechen bringen“ im WS 2023/24 am Kunstgeschichtlichen Institut der Universität Freiburg.