Thomas Ritz: Sog in die Tiefe der Malerei

Thomas Ritz, o.T., 2023, Courtesy the artist
Porträt
18. Dezember 2023
Text: Nadja Bamler

Thomas Ritz,
zu sehen in der Ausstellung „Dort, wo sich Erde und Himmel nicht treffen“ im Rahmen der Regionale 24,

T66 kulturwerk,
Talstr. 66, Freiburg.
Bis 7. Januar 2024

t66-kulturwerk.de

thomas-ritz.ch

regionale.org

Thomas Ritz, o.T., 2023, Courtesy the artist

Es riecht nach frischen Farben und Espresso. An den Wänden des Ateliers in Basel hängen zahlreiche Bilder. Von alten Skizzen und kleinen Papierarbeiten bis zu großflächigen Formaten, die die gesamte Wandfläche einnehmen, ist alles dabei. In kleinen Wandnischen lehnen aneinandergereiht Leinwände, manche sind gerade erst im Entstehen. Inmitten dieser kreativen Ordnung befindet sich der Arbeitsplatz von Thomas Ritz, an dem er gerade an einem Ölbild malt. An der diesjährigen Regionale 24 ist er mit zwei Bildern vertreten. Sie sind im Freiburger T66 zu sehen, die Ausstellung dort trägt den Titel „Dort, wo sich Erde und Himmel nicht treffen“.

Für Thomas Ritz, 1966 in Basel geboren, steht die Malerei im Zentrum seines künstlerischen Schaffens. „Im Lauf der Jahre habe ich eine malerische und ikonographische Bildsprache entwickelt, die den Wirklichkeitsbezug der Bilder befragt und die Fragilität und Grenzen unserer Wahrnehmung auslotet“, sagt er. „Gerade die Fragilität scheint mir diese Grenzen zu dehnen und assoziative Zwischenräume zu öffnen.“

Ritz‘ Bilder beruhen auf Erinnerungen, aktuellen politischen und sozialen Themen, Alltagssituationen, Fotografien oder mentalen Repräsentationen, die erst durch die Malerei und den Prozess des Schaffens realisiert und materialisiert werden. Die in Freiburg ausgestellten Bilder tragen und bestätigen diese Grundgedanken. Sie zeigen in kühlen Blautönen fiktive Landschaften, bevölkert von Figuren oder auch nur von Körperfragmenten, die wirken, als würden sie stillstehen, wie gelähmt, die Betrachtenden mahnend, auf der Hut zu sein. Die Szenen entwickeln einen Sog in die Tiefe der gemalten Schichten, durch schaurige Nebelschwaden, in das rufende Wasser und in die leeren Gesichter der Figuren mit ihren verborgenen Emotionen, die in den Bann ziehen und nicht loslassen wollen, so dass man sich auf die Suche macht nach ihrem Grund.

Man könnte sie als Spiegel der Zustände verstehen, die uns allen vertraut sind. Was wir sehen, wenn wir die Bilder betrachten, sind Abbilder dessen, was wir zu sehen vermögen. Das Verständnis von Thomas Ritz‘ Arbeit beruht darauf, dass sowohl die Produktion als auch die Rezeption, sowohl das Machen als auch das Sehen eines Bildes eine Erfahrung ist. Der Ausgang des Bildes bleibt bis zur Fertigstellung ungewiss. Der malerische Prozess ist in diesem Zusammenhang ebenfalls von Bedeutung. Aus dem schwarzen Pigment eines verkohlten, leblosen Astes entsteht durch eine Vielzahl von Hand gesetzter Pinselstriche die Darstellung eines Menschen. Es ist nicht die Hand, die eine Hand malt, sondern eine Hand, die sich Objekte durch Farbe und Malerei aneignet und auf diese Weise Leben auf der Leinwand entstehen lassen kann.

Thomas Ritz spielt in seinen Bildern gerne mit Überlegungen dieser Art. Das zweite unbetitelte Bild thematisiert die Wechselwirkung zwischen dem Unsichtbaren, dass das Sichtbare braucht, um wahrgenommen zu werden. Davon erzählen die Spiegelungen im Wasser, die jedoch nicht vollständig sind. So spiegelt sich auf der Wasseroberfläche zwar die Natur wider, der menschliche Körper aber nicht. Nicht greifbare Figuren, denen Kopf und Gesicht fehlt. Elemente wie diese, die das flüssige Lesen der Bilder ins Stocken bringen und uns erneut auf eine Reise schicken, das Bild aus einer anderen Perspektive zu erleben und zu erfahren, sind in Thomas Ritz‘ Arbeit essentiell. Auch wenn die Frage nach dem Unsichtbaren oft von größerer Bedeutung erscheint, sind die sichtbaren Details nicht weniger wichtig. Sie weisen uns den Weg, das Werk zu dechiffrieren.

Darüber hinaus interessiert sich Ritz für Fragen nach der Wahrheit und der Vollständigkeit. Was ist wahr? Oder anders, was halten wir für wahr? Dieser Frage widmet sich auch der Autor Benedict Wells in seinem Roman vom Ende der Einsamkeit: „Durch die Linse der Mamiya wurden die Dinge lebendig, Baumrinden bekamen auf einmal Gesichter, die Struktur des Wassers ergab nun Sinn, auch die Menschen wirkten plötzlich anders, und manchmal verstand ich ihre Blicke nur, wenn ich sie durch den Sucher der Kamera betrachtete“.

Menschliche Wahrnehmung ist das Ergebnis eines Wechselspiels zwischen den Möglichkeiten des Betrachtenden und der physischen Realität der Umgebung, strukturell gekoppelt an das zur Verfügung stehende Wissen, Erinnerungen und an die damit verbundenen Emotionen. Das bedingt sich gegenseitig und lässt Betrachtende in Thomas Ritz‘ Bildern sehen, was sie darin sehen wollen. Nicht ohne Grund gibt er seinen Bildern meist keine Titel, um die Assoziations- und Interpretationsräume möglichst offen zu halten. Thomas Ritz verlangt von uns, genau hinzusehen, seine Bilder fordern unsere ganze Aufmerksamkeit. Denn nur dann können wir erkennen, wie Malerei aus leblosen Strukturen lebendige Bilder und damit umfassende Wirklichkeiten hervorbringen kann, in denen sich Kunstschaffende und Rezipierende begegnen.

Dieser Text entstand im Rahmen der Übung „Kunstkritik: Zeitgenössische Kunst zum Sprechen bringen“ im WS 2023/24 am Kunstgeschichtlichen Institut der Universität Freiburg.