Der gläserne Blick: Was das Auge glaubt, was das Hirn sieht

Gläserner Blick, Augustin
Till Augustin, Glass Hass eben, 2016, Detail, Courtesy the artist, Foto: Till Augustin
Review > Burgrieden > Museum Villa Rot
16. Dezember 2023
Text: Florian L. Arnold

Der gläserne Blick.
Museum Villa Rot, Schlossweg 2, Burgrieden-Rot.
Donnerstag bis Samstag 14.00 bis 17.00 Uhr, Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 11. Februar 2024.
www.villa-rot.de

Gläserner Blick Dreher
Peter Dreher, Tag um Tag guter Tag, Nr. 2305, 2010, Foto: Galerie Albert Baumgarten, Freiburg
Gläserne Blick Ohlmer
Cristina Ohlmer, Opacity #7, 2022, Courtesy the artist, Foto: Cristina Ohlmer

Glauben Sie nicht alles, was Ihr Auge Ihnen in der Ausstellung „Der gläserne Blick“ vorführt. Da ist allenthalben viel Glas zu sehen, aber es ist weniger eine Präsentation von Kunst aus dem Werkstoff Glas als vielmehr die Facetten des Sehens und Wahrnehmens rund um dieses Material. zwölf Künstlerinnen und Künstlern treiben ihr Spiel mit dem Sehen, treiben es an Grenzen. Steht man etwa vor den farbigen Glasskulpturen von Till Augustin, so stürzt der Blick ins Innere der Glasskulpturen, in optische Abgründe, Spiegelungen, Verzerrungen aus Farbe und Licht. Die aus Verbundglas zusammengesetzte Glasblöcke werden von Augustin mit Meißel, Hammer, Feile bearbeitet, später patiniert, geschliffen, auch mal mit dem Hammer bearbeitet. „Ratio“ ist ein in der Raummitte thronendes, mit Eisenoxidmasse überzogenes Glasmysterium; es wirkt zunächst so massiv und undurchdringlich wie der Stahlsockel, auf dem es in kühnem Gleichgewicht thront. Doch der Blick auf die Schmalseite öffnet weite Räume aus tiefem Blau. Hier lösen sich die vielen Schichten von Glas auf in Leichtigkeit, Fragilität.

Aber nicht nur Augustins Werke lassen leicht vergessen, dass man es hier mit dem gleichen Grundstoff zu tun hat, aus dem unser Alltag besteht, sei es in Form von Fensterscheiben, Trinkgefäßen oder Displays. Peter Holls Bilder etwa erstaunen mit immensem Detailreichtum und kristallklarer Farbgebung, doch sie irritieren auch. Was auf den ersten Blick wie fotorealistische Malerei wirkt, ist tatsächlich ein Ausforschen der luziden Beschaffenheit seiner Sujets: Während der Vordergrund – eine mit Flüssigkeit besprengte Glasschreibe –scharf und überdeutlich zu sehen ist, verschwimmt der Hintergrund, in dem man menschliche Figuren, Stadtarchitekturen, Innenräume, Objekte errätselt. Im Nachhinein meint man, wirkliche Glasscheiben, wirkliches Glas gesehen zu haben. Der Maler stellt die Frage nach der Wahrheit des Sehens, indem er den Limitierungen des Auges seine immense Malkunst gegenüberstellt. „Der gläserne Blick“ zeigt von den ästhetisch-visuellen Positionen wie etwa Bettina Bürkles subtilen Wandobjekten über die fantasievoll wuchernden Hinterglas-Zeichnungen der Cristina Ohlmer bis zu den einen ganzen Raum förmlich auflösenden Spiegelstreifen Johannes Pfeiffers eine immense Vielfalt an Zugängen zum Glas – und wie dieses unseren Blick fordert. Im Erdgeschoss-Salon aber ist das Glas Träger akustischer Signale von Klick- und Zwitscherlauten – hier hat Künstlerin Sabine Schäfer mit mikroskopierten Klang- und Bildwelten aus der Fauna verlangsamte Melodien und Rhythmen geschaffen, die mitunter klanglich ans Brechen von Glas denken lassen.

In der Kunsthalle zeigen sich der älteste und der jüngste Aussteller Seite an Seite: Markus Lüpertz‘ monumental wirkender „David“ wirkt wie eine Eisskulptur, ist aber tatsächlich als Glasguss hergestellt. Breitbeinig und selbstbewusst steht dieser Held da, doch das Material Glas löst alles Wuchtige wieder auf, lässt die Figur fast filigran, zerbrechlich scheinen. Jorge Sánchez Di Bello (geboren 1988 in Bogotá, Kolumbien) hat im Raum Glasscheiben mit dem sandgestrahltem Umriss des weltbekannten „Monobloc“-Plastikstapelstuhls aufgestellt. Man denkt zunächst an das Fehlen einer Person, vielleicht an die Corona-Zeit mit ihren leerstehenden sozialen Treffpunkten. Es geht aber auch um die gescheiterte Hoffnung auf Frieden. Ein Friedensabkommens zwischen dem damals amtierenden Präsidenten Kolumbiens, Andrés Pastrana, und einem Vertreter der Guerilla fand nicht statt, so dass bis heute ein brüchiger Friede herrscht. In Kolumbien ist dies symbolisiert durch den weißen Stapelstuhl aus Plastik, auf dem kein Guerilla-Vertreter neben dem Präsidenten Platz nehmen wollte. Die Ausstellung fasziniert mit visuellen Reizen und Sensationen, fordert aber auch die Aufgabe gewohnter Sehprozesse. Wer sich Zeit nimmt, wird merken, wie viel noch an Magie und Zauber im Alltagsstoff Glas stecken.