Sara-Lena Möllenkamp: Das Tattoo als Spur einer gemeinsamen Erfahrung

Sara-Lena Möllenkamp, The Gap, 2023, in Zusamenarbeit mit Heiko Hacker und dem Tattoo-Kollektiv "[ein] Farbig", Installationsansicht Galerie für Gegenwartskunst, E-Werk Freiburg, Courtesy the artist, Foto: Marc Doradzillo
Porträt
15. Dezember 2023
Text: Mai Phuong Dao

Sara-Lena Möllenkamp: The Gap,
zu sehen in der Ausstellung „Tattoos, Kunst auf dem Körper“ im Rahmen der Regionale 24,

Galerie für Gegenwartskunst im E-Werk,
Eschholzstr. 77, Freiburg.
Bis 7. Januar 2024

www.gegenwartskunst-freiburg.de

www.saralenamoellenkamp.de

Sara-Lena Möllenkamp, The Gap, 2023, in Zusamenarbeit mit Heiko Hacker und dem Tattoo-Kollektiv "[ein] Farbig", Installationsansicht Galerie für Gegenwartskunst, E-Werk Freiburg, Courtesy the artist, Foto: Marc Doradzillo

„Was wäre, wenn wir keine Körper hätten und nur Geister wären?“, fragt Sara-Lena Möllenkamp, die sich in ihrer Kunst viel mit dem menschlichen Körper beschäftigt. 1987 in Weingarten bei Ravensburg geboren, hat sie in Konstanz Literatur-, Kunst- und Medienwissenschaften sowie Deutsche Literatur studiert und arbeitete nach ihrem Abschluss im Theater Freiburg als Regieassistentin. Durch ihre künstlerische Arbeit will sie in Dialog mit anderen Menschen treten und sie zum Denken anregen.

Für Möllenkamp ist der Körper Quelle und Ort von Sinnlichkeit. Sie ist fasziniert von seiner Kreatürlichkeit und seinem Ausdruck als Teil der Natur, aber auch von seiner Sprache. Damit meint sie nicht Gesten oder Zeichen- und Gebärdensprachen, sondern den Körper, der den Lauf des Lebens dokumentiert. Die Haut verändert sich mit dem Alter, je nach Berufung und Verletzungen. Narben und Falten entstehen und der Körper bildet damit eine eigene Symbolik.

Im Mai 2023 war Möllenkamp im Freiburger Kunsthaus L6 an der Ausstellung „Mythen von Müttern und anderen Monstern“ beteiligt als Mitglied des Künstlerinnenkollektivs „Maternal Artistic Research Studio“, kurz: „M.A.R.S“. Sie zeigte dort ihre Werkserie „Robo-Mums“, eine Reihe von Collagen, für die sie gefundene Bilder aus der Kunstgeschichte und aus Science-Fiction-Filmen zu Mutter-Kind-Ikonen montiert hat. Diese Arbeiten spiegeln nicht nur ihre Faszinationen für den Körper, sondern thematisieren zugleich das problematische Idealbild einer rundum sorgenden, ständig handlungsbereiten Mutter und ihre Rolle in der Gesellschaft, mit der Sara-Lena Möllenkamp selbst als Mutter konfrontiert war und ist.

Ihr Interesse am menschlichen Körper und am direkten Austausch mit Anderen waren wichtige Gründe, weshalb sie nun eine Ausbildung zur Tätowiererin beim Freiburger Tattoostudio „[ein] Farbig“ begonnen hat. Sie selbst beschreibt das nicht als Bruch, sondern als eine Fortentwicklung ihrer künstlerischen Arbeit. „Nach der Elternzeit war ich erstmal raus aus dem Betrieb und wollte mich neu orientieren“, sagt Möllenkamp. „Tattoos hatten mich schon länger interessiert. Da dachte ich, das ist genau das, was ich jetzt brauche. Ich hatte Lust, Kunst zu machen, die für eine ganz bestimmte Person gemacht ist. Wir reden darüber, finden gemeinsam ein Bild, und dann nimmt diese Person das auf dem eigenen Körper mit nach Hause und es kommt nicht auf den Markt und nicht ins Museum, es ist nur für sie“.

Für Sara-Lena Möllenkamp werden Tattoos zu Kunst, wenn sie sich mit der betreffenden Person über das Motiv und ihren Körper auseinandersetzt. Wo soll es seinen Platz finden? Und warum ausgerechnet dort? „Dadurch bekommt ein Tattoo eine Erzählung und es beginnt für mich, Kunst zu werden. Anders als in der Malerei wird das Bild beim Tätowieren nicht auf einen Bildträger, sondern unter die Haut gebracht, die ihre eigene Geschichte erzählt. Die Haut ist ein Körperorgan, das lebt und atmet und sich mit der Zeit verändert, und mit ihr das Tattoo.“

Vor ein paar Jahren hat sich Sara-Lena Möllenkamp ihr erstes Tattoo stechen lassen, eine Katze auf der Hüfte. „Das war eines dieser typischen Sofa-Tattoos, bei jemandem zuhause“, lacht sie. Aber es war ein wichtiger Moment, denn es ging um einen Akt der Selbstermächtigung. Sich tätowieren zu lassen, bedeutet für Möllenkamp, ihren Körper für sich selbst zu reklamieren. In den letzten Jahren sammelte sie immer mehr Tattoos auf ihrer Haut, die für sie weniger eine biografische Bedeutung haben als ihr ein Gefühl von Macht über ihren Körper geben.

„Tattoos – Kunst auf dem Körper“ lautet das Thema der Ausstellung, die im Rahmen der Regionale 24 derzeit in der Galerie für Gegenwartskunst im Freiburger E-Werk zu sehen ist. Sara-Lena Möllenkamp ist zum ersten Mal bei dem grenzüberschreitenden Ausstellungsevent mit dabei. Sie zeigt hier ihre jüngste Arbeit „The Gap“, die in Kooperation mit Heiko Hacker und dem Tattoo-Kollektiv „[ein] Farbig“ entstanden ist. Im Mittelpunkt stehen Tattoos von Personen, die bei „[ein] Farbig“ gestochen wurden. Ausgesucht wurden Motive, die den Körperteilen der Tätowierten schmeicheln oder sie visuell modifizieren. In einer Videoinstallation werden die Körperporträts der Personen nacheinander an die Wand projiziert, dazu lassen sich per QR-Code Interviews hören, die die Künstlerin mit den Tätowierten geführt hat. Sie erzählen von ihrer Motivation, von der Inspiration ihrer Motive, von Zugehörigkeit und der Erfahrung von Schmerz. „Schmerz ist für viele ein wichtiger Aspekt“, sagt Möllenkamp. „Schmerz lässt dich ganz nahe an dich selbst kommen, weil dein Körper plötzlich in einen Alarmzustand gerät und sich automatisch fokussiert, und dann schaltet sich dein Kopf aus.“ Der Prozess des Tätowierens ähnele dem meditativen Zustand, den sie auch in der Kunst anstrebe, fügt sie hinzu. „Im Kunstmachen kann ich meine Gedanken ordnen und kann meinen Gefühlen freien Lauf lassen, bis ich einen Zustand erreiche, in dem das Denken in den Hintergrund und die Kreativität in den Vordergrund rückt.“

Die Art, wie sie die Körper der Tätowierten fotografiert hat, erinnert an frühere Arbeiten, die stark geprägt waren von ihrem Interesse an dem Auseinandernehmen und Neuzusammensetzen von Dingen. Allein durch die gewählten Bildausschnitte nimmt sie etwas aus der Realität und setzt es in einem neuen Umfeld wieder zusammen.

„The Gap“ erzählt von der Beziehung zwischen der/dem Tätowiererin und der/dem Tätowierten, um gemeinsam etwas Besonderes zu entwickeln. Für Möllenkamp ist diese Kollaboration reizvoll, da so ihr Künstlerin-Ego zurücktreten kann hinter den Dialog und das Zusammenspiel mit ihrem Gegenüber. Im Prozess des Tätowierens begegnen sich beide auf Augenhöhe. Die Tätowierung selbst wird so zur sichtbaren Spur einer gemeinsamen Erfahrung.

Dieser Text entstand im Rahmen der Übung „Kunstkritik: Zeitgenössische Kunst zum Sprechen bringen“ im WS 2023/24 am Kunstgeschichtlichen Institut der Universität Freiburg.