Markus Raetz: oui non si no yes no.
Kunstmuseum Bern, Hodlerstr. 12, Bern.
Dienstag 10.00 bis 21.00 Uhr, Mittwoch bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 25. Februar 2024.
www.kunstmuseumbern.ch
Zur Ausstellung ist eine Publikation erschienen: Markus Raetz. Atelier, Scheidegger & Spiess, Zürich 2023, 128 S., 38 Euro | ca. 43.90 Franken.
Man muss nur mit der Bewegung gehen. Nach 16 einzelnen Bildern hat sich der Kopf im Uhrzeigersinn gedreht. Markus Raetz (1941-2020) hat für seine Fotoarbeit „Bewegung“, die 1982 in Berlin entstand, Polaroids vergrößert. Der Kopf von David Hecht ist jeweils um ein Weniges verrückt, am Ende schließt sich der Kreis. Und er schließt sich auch ganz real, da die Schwarzweiß-Fotos in einem großen Rund angeordnet sind. Die Arbeit gibt die Haltung vor, mit der man dem Werk von Markus Raetz begegnen muss. Und so kann es derzeit im Kunstmuseum Bern passieren, dass sich in dieser Retrospektive Wege kreuzen und man die Freude teilt, die optimale Perspektive gefunden zu haben. Wobei viele von Raetz‘ Installationen eben nicht statisch sind, sondern durch die Bewegung der Betrachtenden mehrfach die Bedeutung wechseln. In diesem Umkreisen liegt auch etwas Lustig-Lauerndes, als würde man mit dem Künstler in einen Dialog treten, um ihm auf die Schliche zu kommen bis noch das letzte seiner Werke sein Geheimnis preisgibt.
Derartige perspektivische Verkürzungen der Wahrnehmung wie die Anamorphose waren in der frühen Neuzeit ein geselliges Vergnügen, sie wurden privat und in Vorführungen zelebriert, Stereoskope fanden sich auch auf Jahrmärkten und etwas von dieser Mediengeschichte spiegelt sich im Humor von Markus Raetz‘ Arbeiten. Denn da wechseln ein Mann und eine Frau, die aus Draht geformt sind und auf einem Podest stehen, im Laufe der eigenen Bewegung das Geschlecht. Oder aus einem Nada, ein Schriftzug aus Draht, wird ein Todo und umgekehrt. Wobei Markus Raetz mit diesen ernsten Spielchen, vor allem wenn sie mit Sprache arbeiten, noch eine weitere Bedeutungsebene öffnet. Zwar treten Nichts und Alles nie gleichzeitig vors Auge, doch das Wissen, das beides möglich ist, verändert die Sichtweise auf das eine wie das andere. Es geht weniger um einen Relativismus als darum Veränderungen für möglich zu halten. „oui non si no yes no“ heißt so auch der Titel der Ausstellung.
Bei „Dryade“ etwa sieht man zuerst nur mehrere entrindete Zweige, erst wenn man eine bestimmte Position eingenommen hat, erblickt man in einem ovalen Spiegel einen weiblichen Torso. Raetz hat nicht nur auf Materialien zurückgegriffen, die der Arte povera zugeordnet sind, oft hat er seine Formsprache auch auf das Nötigste reduziert. Doch erst durch den Blick des Betrachtenden in den Spiegel vollzieht sich das eigentliche Werk. Dass es ein Spiegel ist, hält uns denselben vor. Wir sind nicht frei in dem, was wir sehen, sondern nehmen nur das wahr, was wir kennen oder was wir erkennen wollen. In „Hasenspiegel“ sieht sich ein Hase aus Draht im Spiegel als Mann mit Hut. Man muss dem Hasen hier jedenfalls nicht das Bild erklären. Eine andere Arbeit, „Zeemansblik“ aus dem Jahr 1987, reflektiert dies, in dem der sichtbare Ausschnitt des Seestücks durch die Form des Fernglases bestimmt ist. Der Seemann schaut auf eine Horizontlinie, die nichts anderes als ein Knick in einem Blech ist, durch das Licht uns aber als Wasser und Himmel erscheint. Zu einer Totalität fügt sich das Meer nicht, es ist nur ein Ausschnitt, unsere Sehweise.
All das könnte so belehrend wie auch schwerfällig sein, doch Raetz‘ Kunst hat etwas sehr Leichtes und Spielerisches. Oft sind es regelrecht Zeichnungen im Raum. Wie vorausschauend er seine Arbeiten entwickelt hat, zeigt ein Blick in seine Notizbücher, die in Vitrinen ausliegen. Raetz versucht hier Reimreihen wie Sohn/Lohn/Mohn/Hohn, vor allem jedoch zeichnet er viel. Zeichnerisch wirkt auch sein „Neapelfries“, der an Grotesken der italienischen Renaissance erinnert und an ihren schier unendlichen Ideenreichtum. Raetz hat seine Bildideen zu ganzen Installationen ausgeweitet, so auch bei seinem „Berner Raum“, der aus 24 Arbeiten besteht, die man von zwei Bänken aus betrachten kann. Man könnte es simultane Poesie nennen.