Zanele Muholi: Widerstand und visuelle Befreiung

Zanele Muholi
Zanele Muholi, Inkanyiso I, Paris, 2014, Courtesy Muholi Art Institute, © Zanele Muholi
Review > Luzern > Kunstmuseum Luzern
17. Oktober 2023
Text: Daniela Janser

Zanele Muholi.
Kunstmuseum Luzern, Europaplatz 1, Luzern.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr, Mittwoch 11.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 22. Oktober 2023.
www.kunstmuseumluzern.ch

Zanele Muholi
Zanele Muholi, Miss d’Vine II , 2007, Courtesy Muholi Art Institute, © Zanele Muholi
Zanele Muholi
Zanele Muholi, Katlego Mashiloane and Nosipho Lavuta, Ext-2, Lakeside, Johannesburg, 2007, Courtesy Muholi Art Institute, © Zanele Muholi

Die Schweiz war dem südafrikanischen Apartheidregime eine treue Partnerin: über Waffenlieferungen, den Goldhandel, über die Grossbanken, die dem international geächteten Unrechtsstaat Milliardenkredite gewährten. Wenn man eine Kritik an der ausgezeichneten Ausstellung zu Zanele Muholi im Kunstmuseum Luzern formulieren müsste, wäre es diese: dass trotz Einbettung von Muholis Kunst in politische und historische Zusammenhänge der Bogen zu dieser Verstrickung nicht geschlagen wird. Die Apartheid dauerte von 1948 bis in die 1990er Jahre. Zanele Muholi wurde 1972 geboren, wuchs weitgehend ohne Eltern auf, trat in den 1990er Jahren in die Reportagefotografie-Schule von David Goldblatt ein, begann 2000 beim LGBTQ-Magazin „Behind the Mask“ zu arbeiten. Muholi betont stets, ein:e Visual Activist zu sein, nicht „einfach“ Künstler:in. Die südafrikanische Gewaltgeschichte ist auch die persönliche Lebensgeschichte von Zanele Muholi. Bis heute. Denn obwohl die Apartheid seit dreissig Jahren offiziell Vergangenheit ist und Südafrika heute eine der fortschrittlichsten Verfassungen der Welt hat, gibt es zahlreiche Hate Crimes gegen queere, nonbinäre, nicht-weisse Menschen, sind Diskriminierungen in einer weiterhin konservativ geprägten Gesellschaft alltäglich. All das fliesst in Muholis Fotografien ein: eindringliche, ausdrucksstarke Schwarzweissporträts, darunter viele Selbstporträts. Die wachsamen, skeptischen, trotzigen, verletzten Blicke der Sujets richten sich auf uns, manchmal auch von uns weg. Man kann sich ihnen schwerlich entziehen, wird gleichzeitig auf Distanz gehalten, versteht auch instinktiv, warum.

Diese Serien bilden Wahlfamilien ab. Der Vergangenheit müssen diese in Schmerz und Stolz Verbündeten entkommen, um weiterzuleben. Nostalgie bezüglich des Durchlebten ist für sie unmöglich. Zugleich holt die Vergangenheit sie immer wieder ein. Weder „glossy“ noch „gloomy“ sollen die Porträts sein, hat Muholi einmal gesagt, also weder oberflächlich glänzend noch düster-traurig – sondern stets beides. Eine behutsame Balance herrscht auch zwischen Fotograf:in und Sujets, die Muholi Mitstreiter:innen nennt. Ins Auge sticht die strenge Komposition – und der Einsatz von Alltagsgegenständen als Modeaccessoires: Wäscheklammern, Klebeband, Bleistifte. Sie erinnern an die verstorbene Mutter, die als Bedienstete in einer weissen Familie arbeitete, und an rassistische Rituale aus der Zeit der Apartheid. Muholi funktioniert auch mal eine billige Tasche zum modischen Hut um und interveniert geschickt in die Tradition der Porträtkunst: Jahrhundertelang war es mehrheitlich ein Vorrecht von weissen Privilegierten, sich in Gemälden verewigen zu lassen. Die Fotografie hat das Genre ein Stück weit demokratisiert, Muholis Porträts markieren einen weiteren Schritt: Sichtbarkeit, Würde und Widerstand in Schwarz. „To Blacken“ nennt Muholi das Projekt schlicht; also nicht nur das Schwarzsein aus diversen weissen Aneignungen zurückholen, sondern alles strategisch schwärzen und kontrastieren: den Kanon, aber auch unsere Aufmerksamkeit. Wie gut diese Wahrnehmungsschärfung gelingt, erkennt man, wenn etwa Muholis Fotografien historischen (Selbst-)Porträts gegenübergestellt werden, wie kürzlich bei einer Ausstellung in Wuppertal: Dieses Nebeneinander verändert die Wirkung der historischen Gemälde markant.

In Luzern sind auch ältere Aufnahmen zu sehen, die noch stärker im Zeichen der Reportagefotografie stehen. Sie zeigen Überlebende von Gewaltverbrechen in den Townships, wohin Nichtweisse unter dem Apartheidregime vertrieben wurden: LGBTQ-Selbstfindung im Privaten, von Muholi behutsam, fast zärtlich dokumentiert. Selbstbewusster, verspielter erscheinen die Serien mit Szenen und Porträts aus queeren und trans Schönheits- und Dragqueenwettbewerben. Sie erhellen nicht zuletzt schlagartig, wie diese Community die Codes der Selbstdarstellung und Laufstegposen der Schönheitsindustrie sehr viel besser, lockerer und vor allem viel ironischer drauf hat als viele cis Geschlechtliche: nicht nur visuell eine Befreiung.         

Dieser Text erschien zuerst in der Schweizer WOZ – Die Wochenzeitung, www.woz.ch