Michael Klant: Wolkendialoge & Wasserzeichen

Michael Klant, Wolkendialoge & Wasserzeichen, Ausstellungsansicht Kunstkreis Radbrunnen, Breisach, Courtesy the artist © Michael Klant
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14. Oktober 2023
Text: Paul Klock

Michael Klant: Wolkendialoge & Wasserzeichen.

Kunstkreis im Radbrunnen,
Radbrunnenallee 9, Breisach.
Bis 29. Oktober 2023.

www.kunstkreis-radbrunnen.de

IMAGE ist in großen roten Lettern in der mittleren von drei Ausstellungsetagen des Breisacher Radbrunnens zu lesen. Seit den Höhlenmalereien vor mehreren zehntausend Jahren gehört das Bild zu den mächtigsten Errungenschaften des homo sapiens. Wie das Wort ist auch das Bild Fleisch geworden und mehr als nur das, was es abbildet: Es kündet von dem, was den Menschen so gottähnlich macht, weil es etwas erschaffen hat, das weder nur Körper oder nur Geist ist, sondern eine eigene Dimension besitzt. Nicht Abbild, sondern Träger eines kulturellen Prozesses.

Der Freiburger Künstler und Kunstprofessor Michael Klant spielt mit den Paradigmen kultureller Aneignung und materieller Gestaltungsform auf eine ganz besondere Weise. Seit er 1999 unter dem Titel „Florida Sky Piece“ von einem Flugzeug ein 75 qm großes Banner über Freiburg und den Schwarzwald ziehen ließ, auf dem ein Stück amerikanischer Himmel gemalt war, hat ihn diese Idee nicht mehr losgelassen. Ein Jahr später folgte die Gegeneinladung in die USA und seitdem sind die Flugaktionen zu einem seiner künstlerischen Markenzeichen geworden. Ob über der Lagune von Venedig, dem französischen Departement Var, dem spanischen Málaga: Die Zusammenführung zweier disparater Welten, meist mit einem kulturellen Kontext versehen, hat seine künstlerische Arbeit im Wortsinn beflügelt. Stets beschreiben die Banner flüchtige Phänomene, sie tragen so poetische Formulierungen wie „Un momento di felicità“ oder „Sur les ailes du temps“, so kulturell ambitionierte wie „Verweile doch, du bist so schön“ (2020 beim „Faust Flug“ zum Stadtjubiläum von Staufen), scheinbar profane wie „Juste une image dans les nuages“ und philosophische wie „O tempo e uma imagem móvel“ (portugiesisch für „Die Zeit ist ein bewegtes Bild“, nach einem Zitat von Platon). In der Ausstellung zu Objekten transformiert, lassen sie wie archäologische Fundstücke ein Bild des Vergangenen entstehen. So wurden die roten Lettern von IMAGE 20 Jahre lang in immer neu zusammengeknüpften Werbebotschaften über der Algarve in Portugal geflogen, was dem Ripstop-Nylongewebe stark zugesetzt hat. Notdürftig geflickt und ausgebessert, was aus der Ferne nicht zu erkennen war, wurden sie weiterverwendet, bis Klant sie nach dem Platon-Kunstflug aus dem Luftverkehr zog. An zentraler Stelle im Turm installiert, werfen sie die Frage auf, ob es heute noch einen intakten Bildbegriff geben kann.

Die politisch bedeutendste Flugaktion war der bilaterale »Himmelstausch Gernika ↔ Berlín“ von 2019, bei dem Klant Himmelsausschnitte, die er mit internationalen Teams nach Fotos auf 100 qm große Banner malte, über dem jeweils anderen Ort schweben ließ und abwarf – eine Sühneaktion für das Verbrechen der Legion Condor, die die baskische Stadt 1937 in Schutt und Asche gebombt hatte. Auf etwa 60 x 40 cm zusammengefaltet, werden die beiden riesigen Banner in transparenten Rollkoffern in der Ausstellung präsentiert, die Spuren ihrer geschundenen Oberflächen nach außen zeigend.

Im Mittelpunkt dieser aufwendigen Aktionen steht das Bild des Himmels, das über, unter oder durch einen anderen Himmel gezogen wird. Dabei berühren sich zwei eigentlich ganz verschiedene Erscheinungsformen: die der physischen Existenz und die des hergestellten Abbilds, verbunden durch die Bewegung des Flugzeugs. Doch sind es wirklich zwei verschiedene Erscheinungsformen? Das Bild verschmilzt mit dem, was es abbildet, hervorruft, erinnert, ausdrückt, überführt, verwandelt … Und dann ist da natürlich noch das alles umgreifende Moment des Bildes vom doppelten Himmel, in den wir immer auch im Sinne der christlichen Religion als ein transzendentes Gebilde blicken.

Einen zweiten Schwerpunkt der Ausstellung bilden Arbeiten aus der Werkguppe der „Aquatypien“, Resultate von Wasseraufschüttungen auf mit Eisensalzemulsion getränkte Papiere, die in einer Art Negativprozess zu tief- bis hellblauen Bildern mit weißen, wolkenartigen Formen führen. Seit seiner Flugaktion für die „Stiftung 7000 Eichen“ im September 2022, bei der Klant den Text „Plant flowers and trees“ in weißen Versalien als Hommage an Joseph Beuys über Kassel schweben ließ, kombiniert er sein Aquatypie-Verfahren mit Abdrücken von den Eichenblättern der Beuys-Bäume, die er vom Boden aufsammelte. Ihre gerundeten Umrisse setzt er seither in „Aquagrammen“ zu seinen wolkenartigen Wasserverlaufsformen in Beziehung, in kleineren ebenso wie in über 2 m hohen Formaten. Mit seinem Bannerflug hatte Klant Beuys‘ Aufruf, Bäume zu pflanzen, um Blumen ergänzt – der Krieg gegen die Ukraine hatte einige Monate zuvor begonnen. Von dem englischen Wort schweben die beim Flug eingesetzten Buchstaben FLOW stockwerkübergreifend im großen Treppenauge des Turms, die verschiedenen Werkgruppen auf einen Begriff bringend.

Wasser ist neben den Wolken die andere große Metapher des Künstlers Michael Klant. Im Halbdunkel des kopfsteingepflasterten Erdgeschosses projiziert er seine jüngsten „Shoreline Drawings“ auf Sandflächen: in die Uferlinie von Stränden geschriebene, poetisch-philosophische Kurztexte und Zeichnungen, die von den pausenlos anrollenden Wellen immer wieder weggewischt werden. In der Ausstellung verschmelzen sie mit der sandigen Projektionsfläche. Der repetitive, sisyphosartige Zeichenprozess, bei dem Klant stundenlang im Wasser stehend mit dem Rücken zum Meer arbeitet, korrespondiert mit der Form des filmischen Loops, sodass kaum wahrnehmbar ist, wann die filmische Wiederholung einsetzt. Unablässig erscheinen bei einem dieser „Expanded Videos“ alternierend die Formulierungen to be / or not / to be / or not …  In einer anderen Aufprojektion werden Wolkenformationen rhythmisch vom Meerwasser überspült, zu Reliefs verändert und fragmentiert, bis sie schließlich verschwunden sind und das Spiel von neuem beginnt. In einer sandgefüllten Munitionskiste von 1944, dem vorletzten Weltkriegsjahr, wechseln in einem von oben hinein projizierten Video die Wörter LOVE und HATE einander ab, permanent vom Wasser geflutet.

Zwei »Shoreline Drawings« setzen im oberen Stockwerk kontemplative Schlusspunkte. In einem der Videoloops, mit »Dialog (Anrufung)« betitelt, schreibt der Künstler unentwegt die drei Buchstaben »God« in die Uferlinie – und zieht gegen die darüber fließenden Wellen immer wieder den Kürzeren. Fast wie von Zauberhand erscheint im Video »Trialog« der in den Sand geritzte Name Gottes abwechselnd in den Alphabeten und Bezeichnungen der drei abrahamitischen Religionen: Elohim, God und Allah. Für diese Arbeit hatte Klant sich mit einem Hebraiker und einem Islamwissenschaftler beraten. Ein Name nach dem anderen wird weggespült, nur um kurz darauf erneut geschrieben zu werden: als Fragen zur Schöpfung, Metaphern des Zyklischen in der Natur, künstlerische Ordnungsversuche, wobei auch diese, wie alle Ordnungen, zwangsläufig wieder in Unordnung geraten.