Menschliches Versagen. Fotografien, Videos und Roboter-Repräsentantinnen von Louisa Clement

Louisa Clement, Repräsentantin, 2021, Courtesy the artist, © Louisa Clement
Review > Bremen > Paula-Modersohn-Becker-Museum
14. Oktober 2023
Text: Rainer Beßling

Louisa Clement: Human Error.

Paula Modersohn-Becker Museum, Böttcherstraße 6, Bremen.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 21. Januar 2024.

www.museen-boettcherstrasse.de

Louisa Clement, dt 2, 2021, Courtesy the artist, © Louisa Clement
Louisa Clement, take care 3, 2022, Courtesy the artist, © Louisa Clement
Louisa Clement, body fallacy 18, 2021, Courtesy the artist, © Louisa Clement

[— artline Nord] Und schon hat sie ein Etikett: „Bonner Kunstpreis an KI-Künstlerin“, titelt der WDR im Juni diesen Jahres. Was heißt das? Agiert die Künstlerin mit „Künstlicher Intelligenz“? Thematisiert sie diese oder existiert sie selbst als bot? Derzeit tritt Louisa Clement im Bremer Paula Modersohn Becker-Museum auf. Das Publikum empfängt eine „Figur“, die der Künstlerin ähnelt. Handelt es sich um eine „Skulptur“ oder eine „Puppe“? Neben Attributen aus dem Erscheinungsbild der Künstlerin trägt das als „Repräsentantin“ benannte Artefakt Merkmale ihrer Herstellungsstätte. Die „Repräsentantin“ stammt nämlich aus der Produktion von Sexpuppen. Schaut man sie an, zwinkert sie. Von Zeit zu Zeit neigt sie den Kopf. Aber man kann auch verbal mit ihr kommunizieren. Sie ist mit Daten ihrer oder über ihre Schöpferin gefüttert. Wenn die Technik funktioniert, antwortet sie, hält Vorträge. Bei manchen Fragen gibt sie sich oberschlau. Zum Beispiel: Wie fühlst du dich? Antwort: Ich bin eine Maschine, ich fühle nicht(s).

Louisa Clement, 1987 geboren, ist mit ihrer Kunst, wie man gerne sagt: auf der Höhe der Zeit. Auch wenn man diese überstrapazierte Formel schon nicht mehr hören kann, in diesem Fall dürfte sie die richtige Einordnung sein. Clement hat einige Nachbilder ihrer selbst geschaffen. Anfangs streben sie Nachahmung an, doch dann emanzipieren sie sich von Mutter und Matrix und setzen ihre eigene Realität. Wo kippt die Künstliche Intelligenz aus der Dienstbarkeit in die Herrscherrolle?

Dieser Kipppunkt betrifft nicht nur fortgeschrittene digitale Technologie, sondern galt schon immer für den technischen Fortschritt. Und immer stellte sich die Frage: Kompensiert die Technik die menschlichen Unzulänglichkeiten und hilft sie bei der Beherrschung und Instrumentalisierung der Natur? Darauf zielt der Titel von Clements Bremer Gastspiel: „Human Error“. Treibt uns der menschlichen Fehler, das menschliche Versagen oder die Interpretation unserer „Unzulänglichkeit“ in das Technikvertrauen, in die Technikgläubigkeit, in die Abhängigkeit von der Technik?
Die Künstlerin bietet dazu verschiedene Facetten an. Als Meisterschülerin von Andreas Gursky hat sie in ihrer Abschlussarbeit die Köpfe von 55 Schaufensterpuppen fotografiert. Als umlaufendes Bilderband präsentiert, vermitteln die „Gesichter“ Uniformität, doch schon beim zweiten Blick sind die Differenzen erkennbar, und das Individuelle schält sich aus der Masse. In großen, formal ästhetischen Fotografien zeigen sich Körperpartien in ausgewogenen Linien und glatter Oberfläche. Dagegen weisen andere Aufnahmen von Körperausschnitten auf Spuren von Gewalt. Doch die vermeintlichen Verwundungen sind Farbabdrücke und die vermeintlichen Frauenkörper sind Puppen, die durch Verpackung und Transport Schäden erlitten haben. Das Künstliche und die Konstruktion, die Unbestimmtheit der Realitäten scheinen die Künstlerin dann auch irgendwann zu nerven, in einem Video kegeln Kunststoffköpfe mit eingepflanzter Technik über den Boden.

Künstliche Intelligenz, Robotik, die vermeintlichen Segnungen der avancierten Technologie können Hilfe sein. Doch schon der Optimierungsdruck durch die technische Machbarkeit ist prekär. Schon immer war das Militär die treibende Kraft in der technischen Entwicklung. Clement präsentiert in Bremen Fotografien, die einen Munitionsfund zeigen. Nach dem Krieg ist Munitionsschrott in einen See verbracht und mit einer Betondecke versiegelt worden. Als das Grundwasser vergiftet war, hat man das „Endlager“ geöffnet. Kein Vergessen durch Abschließen. Ästhetisch zeigt sich ein Feld von Glasbrocken. Die Geschichte hinter dem scharfkantigen Bruch ist weniger schön. Das Glas schließt das Giftgas Sarin ein, das beispielsweise im Irak und in Syrien zum Einsatz kam. Entwickelt wurde es in der Lüneburger Heide, woher auch der Munitionsfund stammt. Eine sehr schöne Landschaft.