Wolfgang Laib, The Beginning of something else: Kunst für die Conditio humana

Wolfgang Laib
Wolfgang Laib, Reisfeld, 2023, Installationsansicht Kunstmuseum Stuttgart, © Wolfgang Laib, Foto: Gerald Ullmann, Stuttgart
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2. Oktober 2023
Text: Annette Hoffmann

Wolfgang Laib: The Beginning of something else.
Kunstmuseum Stuttgart, Kleiner Schlossplatz 1, Stuttgart.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 17 Uhr, Freitag 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 5. November 2023.
www.kunstmuseum-stuttgart.de

Wolfgang Laib
Wolfgang Laib, Blütenstaub von Kiefern, 2023, Installationsansicht Kunstmuseum Stuttgart, © Wolfgang Laib, Foto: Gerald Ullmann, Stuttgart
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Wolfgang Laib, Wachsraum, 1989, Installationsansicht Kunstmuseum Stuttgart, © Wolfgang Laib, Foto: Gerald Ullmann, Stuttgart
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Wolfgang Laib, Stadt des Schweigens, 2018-2023, Privatsammlung, Courtesy the artist & Buchmann Galerie, Berlin/Lugano, Installationsansicht Kunstmuseum Stuttgart, © Wolfgang Laib, Foto: Gerald Ullmann, Stuttgart

Was verbindet jemanden mit seinen Materialien? Sind es die Formen, die sie ermöglichen, ist es ihre Symbolkraft? Wolfgang Laib (*1950), der im Kunstmuseum Stuttgart derzeit seine Einzelausstellung „The Beginning of something else“ zeigt, arbeitet mit einem ganzen Spektrum an Stoffen, die vor allem ihren natürlichen Ursprung gemeinsam haben. Seit den 1970er Jahren schafft er aus Blütenpollen fragile Farbfelder, 1976 zeigt er dann in der Stuttgarter Galerie Müller-Roth seinen ersten marmornen „Milchstein“ und viele Jahre schon ist einer seiner „Wachsräume“ im Untergeschoss des Kunstmuseum Stuttgart fest installiert. Pollen, Wachs, Milch sowie Marmor, zudem Holz und Reis sind Materialien, die sich selbst genug sind. Sie nähren oder haben wie Pollen etwas mit Bestäubung und Fruchtbarkeit zu tun oder mit dem Bauen – sei es in Form von Waben, Häusern oder Grabdenkmälern. Man könnte die menschliche Existenz, die Conditio humana mit diesen Materialien erzählen.

Im Kunstmuseum Stuttgart startet die Ausstellung im obersten Raum. Unzählige kleine Reishäufchen und drei architektonische Elemente füllen den Saal. Zwei davon sind stufenförmig, das dritte zitiert eine Zikkurat. Laib hat die Oberflächen dieser Skulpturen mit verschiedenfarbigen Lacken überzogen, so dass sie ochsenrot, lehmbraun und violett schimmern. Inmitten der Reishäufchen, deren strenge Ordnung leicht variiert wird, ragen sie so nicht allein plastisch heraus. Wer in dem Raum steht und die Arbeit, soweit es geht umläuft, kommt nicht umhin die andächtige Stille zu bemerken, die in ihm herrscht. Das Raunende, das die Arbeiten von Wolfgang Laib zuverlässig umgibt, speist sich aus einer Haltung, die bescheiden wirkt. Demütig sammelt Laib Pollen von Löwenzahn, Kiefern und Haselnuss, er häuft Reis auf. Doch diese kleinen Gesten wirken monumental, wenn aus unzähligen Reiskörnern Installationen werden. Der studierte Mediziner, dem 2015 der Praemium Imperiale verliehen wurde, weiß um seine Botschaft und hält auf Distanz.

Das zeigt sich nicht allein bei seiner Bodenarbeit „Blütenstaub von Kiefern“, die er in einem Durchgangsraum auf den Boden gesiebt hat. Man kann sie von den seitlichen Räumen sehen, aber besser noch vom darüberliegenden Stockwerk. Das leuchtend gelbe Viereck knüpft an die amerikanische Farbfeldmalerei an, vor allem jedoch an Mark Rothkos Bilder. Man bleibt auf Abstanz. Der Blütenstaub wird ebenso wie der Reis nach Ende der Ausstellung wieder verwendet.

Die Idee eines nachhaltigen Kreislaufes ist bei Laib eng mit seinem Interesse an Spiritualität, Indien und Asien verbunden, so lebt er einen Teil des Jahres im Oberschwäbischen und im südindischen Tamil Nadu. Von dem tibetischen Yogi und Dichter Jetsun Milarepa, der im 11. Jahrhundert lebte, ist eine Werkgruppe von zwölf Zeichnungen auf burmesischem Papier mit weißer Ölkreide und Bleistift beeinflusst. Das Selbst, heißt es da einmal auf Englisch, wird nie geboren noch stirbt es jemals. Bei Laib ist alles im großen Ganzen eines Kontinuums aufgehoben, das sich durch die Materialien und die minimalistische Formsprache der Arbeiten ausdrückt. So sind im Kunstmuseum Stuttgart auch Fotos von Grabdenkmälern zu sehen, die eine Art Archetypus für Laibs eigene plastische Arbeiten von schlackenloser Ästhetik bilden. Seine Installation „Nicht hier“ etwa besteht aus einer Art Gerüst, auf dem mehrere Nachen aus Bienenwachs thronen und in das ein architektonisches Element eingebunden ist. Die Arbeit strömt den charakteristischen Geruch von Wachs aus.

Überhaupt spricht Laibs Werk unmittelbar unsere Sinne an. Denn auch Reis riecht, nicht minder jedoch wird durch die Intensität der Farben der Sehsinn angeregt. Die archetypischen Formen von Häusern erinnern zudem an die Bausteine, die wir seit unserer Kindheit kennen und in Händen hielten, wir verbinden sie mit Schutz und Gemeinschaft. Es klingt wie ein Versprechen, dem man nur zu gerne glaubt.