Cindy Sherman: Anti-Fashion.
Staatsgalerie Stuttgart, Konrad-Adenauer-Str. 30-32, Stuttgart.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 10. September 2023.
www.staatsgalerie.de
Die erste Zusammenarbeit mit einer Modemarke scheiterte mit Aplomb. Die Aufnahmen, die Cindy Sherman (*1954) für eine Kampagne des französischen Strickwarenlabels Dorothée Bis machte, fielen durch. Sie wurden nicht verwendet. Mittlerweile ist die US-amerikanische Künstlerin mit ihren Fotoinszenierungen selbst Teil der Modeindustrie. Der japanische Designer Jun Takahashi ließ seine Entwürfe für die Sommerkollektion seines Labels Undercover 2020 mit Motiven aus Shermans Serie „Untitled Film Stills“ bedrucken, zwei Jahre zuvor hatte er schon einmal mit ihr zusammengearbeitet. Während die Fotos auf den schwarzen Blousons und Trenchcoats das Prestige der Marke stärkten, war es Anfang der 1980er Jahre noch anders herum. Sherman nahm bei den Aufnahmen für Dorothée Bis ungelenk wirkende Posen ein, sie zeigte Zahnlücke und Anzeichen zumindest von Melancholie. Für werbewirksam hielt man dies damals nicht – der Heroin Chic stand der Fashionindustrie noch bevor.
Aber warum überhaupt diese – und spätere, wesentlich erfolgreichere – Kooperationen? 1975 entsteht ein Video der Künstlerin, in dem sie eine Anziehpuppe spielt. In der Animation befreit sie sich aus der Plastikhülle eines Albums, sucht sich ein Papierkleid aus, befestigt es, geht zum Schminktisch, um nur wenig später von einer Hand ausgezogen und in das Album zurückgesteckt zu werden. Modepüppchen zu sein schien also keine ernsthafte Option für die Künstlerin. Für ihre Fotoinszenierungen deckte sich Sherman oft immer noch in Second Hand-Läden ein, doch in den 1980er Jahren entstanden bereits Cover für die Vogue und Harper’s Bazaar. Gut möglich, dass die Reichweite der Magazine für Sherman verlockend war, das Spiel mit Klischees war es offensichtlich. Mit der Ausstellung „Anti-Fashion“, die Cindy Shermans Beziehung zu Mode und Luxusmarken beleuchtet, hat die Staatsgalerie Stuttgart ein Thema aufgegriffen, das vielleicht zu offensichtlich war, um sich damit zu befassen. Denn Kleidung spielt in Shermans Inszenierungen nicht die Rolle einer Ver-Kleidung und oft dominiert das Unheimliche oder Groteske über das Kostüm. Sherman kann John Galliano oder Issey Miyake tragen und entsprechend geschminkt dennoch als furchterregender Clown durchgehen. Doch auf einer einfachen Polarität beruht Shermans Verhältnis zur Mode nicht.
Über die Jahre hat sich nicht nur die Arbeit von Cindy Sherman geändert, so bearbeitete sie etwa die jeweiligen Hintergründe ihrer Fotos digital. Auch das Selbstverständnis der Modelabels hat sich gewandelt. Es schadet einer Marke eben nicht mehr, wenn eine Künstlerin sich in ein grünes Wasserfall-Chiffon-Oberteil kleidet, um eine Frau darzustellen, die sich mit diversen Hilfsmitteln gegen den Alterungsprozess stemmt. Soviel Souveränität oder gar Selbstironie ist inzwischen anscheinend vorhanden. Vielleicht weil die Nähe der Mode zur Gesellschaft und umgekehrt größer ist. So gab Stella McCartney Sherman eine Carte blanche und auch Zugang zu ihrem Archiv. Die Fotos in der Staatsgalerie Stuttgart zeigen, wie sehr sich die fluide Männermode der britischen Designerin und die androgynen Posen der Künstlerin unterstützen. Da sieht man Sherman in einem Strickpulli mit bunter Landschaft sowie einen ledernen Fischerhut auf dem Kopf und neben sich ihr ebenso männliches Alter Ego in einem Fun Fur-Mantel. Sowohl die Entwürfe McCartneys als auch Shermans Inszenierungen greifen gesellschaftliche Tendenzen auf und verstärken diese. Wie spielerisch man mit Rollenentwürfen umgehen kann, hatte Sherman 2004 bereits in einer Fotostrecke mit Juergen Teller für Marc Jacobs gezeigt. Die beiden hatten wie für ein privates Fotoalbum posiert, das die stereotypischen Highlights eines gelungenen Lebens zeigt: beide im Partnerlock und ihn, wie er stolz seine Hand auf ihren Babybauch legt. Humor hat eben noch nie geschadet.