Janet Cardiff & George Bures Miller, Dream Machine: zwischen Traum und Albtraum

Cardiff & Miller
Janet Cardiff & George Bures Miller, Road Trip, 2004, Foto: Daniel Spehr, Museum Tinguely
Review > Basel > Museum Tinguely
25. August 2023
Text: Jolanda Bozzetti

Janet Cardiff & George Bures Miller: Dream Machines.
Museum Tinguely, Paul-Sacher-Anlage 1, Basel. 
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 24. September 2023.
www.tinguely.ch

Cardiff & Miller
Janet Cardiff & George Bures Miller, The Forty Part Motett, 2011, Foto: Bettina Matthiesen, © Janet Cardiff & George Bures Miller,
Cardiff & Miller
Janet Cardiff & George Bures Miller, The Killing Machine, 2007, Foto: Sebar Ugarte, Lorena López

Schon Künstler wie Eduardo Chillida, Joseph Beuys und Jean Tinguely wurden mit dem Wilhelm Lehmbruck-Preis ausgezeichnet, einem der international renommiertesten Preise für Bildhauerei. 2020 ging er an das kanadische Künstler:innenpaar Janet Cardiff (*1957) und George Bures Miller (*1960). Nach der letztjährigen Präsentation im Lehmbruck Museum Duisburg ist ihr Werk nun im Basler Museum Tinguely zu erleben, wo ihre Arbeiten eine ideale Wahlverwandtschaft mit denen Tinguelys eingehen, den Cardiff und Miller zu ihren wichtigsten Einflüssen zählen. Bekannt als Duo wurden die beiden in den 1990er Jahren mit ortsspezifisch konzipierten „Audiowalks“: per Walk- oder Discman führte die charakteristisch-geheimnisvolle Stimme Janet Cardiffs durch den Stadtraum wie etwa 1997 anlässlich der Skulptur Projekte Münster. Der damalige Kurator Kasper König erkannte früh die skulpturale Dimension ihrer immersiven Soundarbeiten, die körperlich und sinnlich erfahren werden.

In „The Muriel Lake Incident“ (1999) ist dies besonders durch den binaural aufgenommenen Sound möglich: die Klangquellen der einzelnen Tonspuren sind lokalisierbar, das Hören über Kopfhörer wird zum räumlichen Erlebnis. In einem im Guckkasten-Format nachgebauten Kinosaal läuft ein Schwarzweiß-Film, der in unzusammenhängenden Szenen mal an einen Western, mal an einen Thriller erinnert. Zusätzlich zum Ton des Films hört man schon zu Beginn das Rascheln und leise Flüstern der imaginären Kinobesucher, später das Popcorn-Knacken und die Kommentare zum Film. Bald verschränken sich Film- und (Zuschauer-)Wirklichkeit: Unruhe kommt gleichzeitig auf der Leinwand und im Kinosaal auf, ein Schuss, ein Schrei, das Publikum verlässt fluchtartig den Saal. Als Betrachter:in der Installation befindet man sich zugleich mittendrin und auf einer dritten Ebene zu diesem besonderen Dispositiv des Kinos. „The Muriel Lake Incident“ ist eine suggestive Hommage an die akustisch-visuelle Erfahrung, die nur das Kino bietet. Doch auch von Oper, Theater, Musik und Puppenspiel sind Cardiff und Miller fasziniert. Sie sind Geschichtenerzähler, Fantast:innen im besten Sinne. So entfaltet sich in „Sad Waltz and the Dancer who Couldn’t Dance” (2015) eine eigentümliche Szenerie, die über einen roten Knopf von den Besucher:innen in Gang gesetzt wird: auf einem Tisch, von einer Schreibtischlampe beleuchtet, sitzt ein kleiner Marionetten-Mann am Flügel und beginnt einen traurigen Walzer zu spielen, während die Marionetten-Frau als Tänzerin wenig elegante Bewegungen dazu machen kann – sie ist offensichtlich dem Willen der Maschine ausgesetzt, die sie immer wieder ruckartig in die Luft hebt und zu Boden fallen lässt. Die Ausstellung bildet einen Parcours durch das Werk von Cardiff und Miller, in dem einzelne Elemente und Akteur:innen in verschiedenen Kontexten wieder auftauchen. So tanzte bereits in „The Muriel Lake Incident“ eine Frau im schwarzen Kleid zu Musik vom Klavier, das in abgewandelter Form als Nachbau eines Mellotrons – der analogen Urform des Samplers – in der Installation „The Instrument of Troubled Dreams” (2018) wieder auftauchte. Hier können Besucher:innen ihren eigenen Soundtrack zu einem imaginären Film komponieren, jede Taste ist mit einer anderen Tonspur belegt. Hundegebell, ein Grammophon, Möwen, Stimmen, die Geschichten erzählen, oder auch ein Streichquartett erklingen.

Hinter dem spielerischen Element, das vielen Arbeiten Cardiffs und Millers eigen ist, verbirgt sich oft etwas Geheimnisvoll-Unheimliches, das Träumerische kann ins Albtraumhafte kippen. Die raumfüllende Installation „The Killing Machine“ (2007) etwa, angelehnt an Franz Kafkas Erzählung „In der Strafkolonie“, reflektiert die Folterungen im irakischen Abu-Ghuraib-Gefängnis. Ein mit rosa Plüsch bezogener Zahnarztstuhl, umgeben von zahlreichen Roboterarmen, wird zum Schauplatz einer Folterszene, in die sich durch Licht- und Soundeffekte auf eigentümliche Art jedoch auch die Ästhetik einer Club-Nacht mischt. Deutlich friedlicher geht es bei „The Forty Part Motet“ (2001) zu. Als Installation „extra muros“ ist in der Druckereihalle Ackermannshof eine polyphone Renaissance-Motette über 40 Lautsprecher als raumfüllende Klangskulptur zu erleben.