Monika Sosnowska, Models: Aus den Ruinen Warschaus

Monika Sosnowska
Monika Sosnowska, Modell für „Handrail“, 2016, Courtesy the artist, Foto: Eva Herzog, © Monika Sosnowska
Review > Bern > Zentrum Paul Klee
19. Juli 2023
Text: Céline Graf

Monika Sosnoswska: Models.
Zentrum Paul Klee, Fruchtland 3, Bern.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 10. September 2023.
www.zpk.org

Monika Sosnowska
Monika Sosnowska, Modell für „Gate“, 2014, Courtesy the artist, Foto: Eva Herzog, © Monika Sosnowska
Monika Sosnowska
Monika Sosnowska, Ohne Titel, aus: Market, 2013 , Courtesy the artist & Galerie Gisela Capitain, Köln, Foto: Simon Vogel, © Monika Sosnowska

Grau. Wie die Geschichtsbücher berichten, war das die vorherrschende Farbe in Warschau, als die Welt, wie sie um 1989 war, mit dem Zusammenbruch des Ostblocks aufhörte zu existieren. Rar sind Farben auch in der Ausstellung zur polnischen Künstlerin Monika Sosnowska (*1972) im Berner Zentrum Paul Klee. Im Innern des klinisch hellen Ausstellungsraums sind dunkle Gebilde auf dem beigen Boden und an den weissen Wänden drapiert. Immer wieder meint man, in den Exponaten Gegenstände des täglichen Gebrauchs zu erkennen. Hier die Stufen einer Treppe, dort Stäbe, die von einem Tor oder Zaun stammen könnten. Bald verfängt sich der Blick in einem roten Geländer, das sich die Wand entlangschlängelt und Loopings vollführt. Hinter der nächs­ten Ecke liegen grüne Gerüste mit verbogenen Gliedmassen. Eines davon wird von einer Trennwand zerquetscht wie ein Insekt. 

Monika Sosnowska bezieht stets den Raum, in dem ihre Kunst gezeigt wird, in die Werke mit ein. Der Raum ist bei ihr Hauptdarsteller, nie nur Kulisse. Ihren Schwerpunkt von Rauminstallationen zu Skulpturen verlagerte die Künstlerin, die in Posen und Amsterdam an die Kunstakademie ging, vor gut 15 Jahren. 2008 wurde auch Warschaus Sportstadion Dziesięciolecia abgerissen. Nach der Wende entstand darin einer der grössten Freiluftmärkte Europas, der Jarmark Europa. Die neue Stadtverwaltung liess der Marktwirtschaft – wie überhaupt der Stadtentwicklung – möglichst freien Lauf, was in einer starken Zersiedelung, dem Wildwuchs beim Bau von Häusern, verstopften Pendlerrouten und dem Verschwinden der grünen Korridore im historischen sternförmigen Stadtkern resultierte. Im Bauboom der Neunziger- und Nullerjahre kumulierten sich die Verwirklichung der „Egos von Architekten“, internationale Trends und die Demolierung vieler sowjetischer Bauten, Industriezonen und Siedlungen. Aus den Trümmern der Stadt, in der Monika Sosnowska seit 2000 lebt, schöpft sie ihre Ideen. Sie bildet originaltreu Bauelemente aus dem öffentlichen Raum nach; manchmal verwendet die Künstlerin auch echtes Material, das sie von Abbruchstellen gerettet hat. Eigens in Metallwerkstätten lässt sie die Skulpturen aus Stahl nach Miniaturmodellen fertigen, von denen im Zentrum Paul Klee einige zu sehen sind. Danach werden die Geländer und Türme, Tore, Marktstände und Hausfassaden unter Zuhilfenahme von Gabelstaplern, hydraulischen Pressen und anderen Maschinen in die gewünschten Formen gebogen und verfremdet. Frisch mit Lack überzogen, treffen wir die polnischen Importstücke im Museum als glänzenden Schrott an, bevor sie jemals ihre eigentliche Funktion ausüben durften. Was überrascht ist die Uneindeutigkeit, mit der Sosnowska ihre urbanen Erkundungen, die sie auch in Fotografien festhält, ins Materielle übersetzt. Beim Betrachten macht sich weder Nostalgie noch Wut auf alte oder neue Regierungen bemerkbar. Mehr scheint es ihr um den Dialog mit den Dingen zu gehen, so entwickelt man Mitgefühl mit dem traktierten Metall.

Das Material hat aber auch Macht über den Menschen. Weil die sowjetischen Ingenieure und Produktionsmethoden langsam aussterben, müsse sich Sosnowska nun nach jüngeren Alternativen umsehen, erzählt Kurator Martin Waldmeier. Der Gitterträger „Truss“ erinnert zudem daran, dass die Künstlerin weniger unpolitisch ist, als sie von sich zu sagen pflegt. Die Skulptur kommt aus einer Serie über Bauten des sowjetischen Konstrukteurs Wladimir Schuchow. Ihm hat Sosnowska bereits früher ein unrühmliches Denkmal gesetzt mit „Tower“. 1921 kollabierte im Hitzeverfahren ein von Lenin beorderter Rundfunkturm und tötete mehrere Arbeiter. Solche Geschichten sind in der Ausstellung nicht zu erfahren. Was übrig bleibt, sind vor allem Impressionen aus einer „city lost in translation“, verloren im Übergang, wie der Soziologe Dominik Bartmanski Warschau bezeichnet hat. Die Stadt gehörte zu den am stärksten zerstörten im Zweiten Weltkrieg. Heute ist mit dem Kulturpalast im Zentrum, der zynisch „Geschenk Stalins“ gerufen wird, ausgerechnet das höchste Monument der kommunistischen Diktatur in Polen noch immer sichtbar und regelmässig Thema von emotionalen Debatten.      

Dieser Text erschien in einer längeren Version zuerst in Der Bund/Berner Zeitung.