Annelies Štrba, Bunt entfaltet sich mein Anderssein: Reisende in der Zeit

Annelies Štrba
Annelies Štrba, Linda mit Teddybär, 1981, courtesy the artist, © Annelies Štrba
Review > Winterthur > Fotostiftung Schweiz
3. Juli 2023
Text: Annette Hoffmann

Annelies Štrba, Bunt entfaltet sich mein Anderssein.
Fotostiftung Schweiz, Grüzenstr. 45, Winterthur.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr, Mittwoch 11.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 13. August 2023.
Bei Lars Müller Publishers ist ein Katalog erschienen, 128 S., Baden 2023, ca. 30 Franken, 30 Euro.

Annelies Štrba
Annelies Štrba, Linda mit Shereen, 2000, courtesy the artist, © Annelies Štrba
Annelies Štrba
Annelies Štrba, Linda, 1991, courtesy the artist, © Annelies Štrba Annelies Štrba

Ganz unabhängig davon, wie lange man sich in Annelies Štrbas Ausstellung „Bunt entfaltet sich mein Anderssein“ in der Fotostiftung Schweiz aufhält, läuft die Zeit an einem vorbei. Nicht als eine Suche nach der Vergangenheit, sondern in dem Sinne, dass wir hier von einer Zeit umgeben sind, die immer schon am Vergehen ist. Es sind vor allem die beiden Projektionen „Shades of Time“ und „Noonday“, die diesen Zustand hervorrufen. „Shades of Time“ ist die ältere der beiden Arbeiten, die zusammen einen Loop bilden und einzelne Fotos – anfangs noch Schwarzweißaufnahmen ‒ zu einem Bilderbogen zusammenfügen. Seit Mitte der 1970er Jahre hatte Štrba (*1947) das Aufwachsen ihrer Kinder Sonja, Samuel und Linda mit der Kamera begleitet. Tatsächlich hat sie kaum etwas anderes fotografiert als dieses häusliche Leben. „Beim Kirschentrocknen“ heißt ein Foto, ein anderes „Im Kinderzimmer“, oder „Linda mit Teddybär“ und dann bereits „Linda mit Shereen“. Die Frau, eben noch ein Mädchen, die mit einem Plüschtier einschläft, dann eine Heranwachsende war, hat nun selbst ein Kind. Oft sind die Fotos nicht gestochen scharf, manchmal überbelichtet und manchmal scheinen sie sogar verkratzt.

Und obwohl sie Wärme und Fürsorge ausstrahlen, oft sieht man Frauen, die Babys halten und oft wetteifert die Lebendigkeit der Kinder mit der von bunt gemusterten Stoffen, sind es keine Familienalbumfotos, dazu ist vieles zu chaotisch und zu intim. Sie scheinen vielmehr aus dem Staunen heraus entstanden zu sein, dass Menschen älter werden. Denn als unsere Stellvertreter wachsen diese Kinder, sie verändern sich und es liegt nicht in unserer Macht, auch nur einen Augenblick festzuhalten. Der Fotoapparat, der ja genau dies tun sollte, ist ein unzuverlässiger Gefährte. Und aufgrund einer großen Familienähnlichkeit und der verbindenden ungezwungenen Ästhetik der Bilder verschwimmt die Grenze zwischen den Generationen. In „Noonday“ übernehmen die Enkelinnen und Enkel die Rollen der Eltern, man könnte denken, die Zeit steht still, obwohl Jahrzehnte zwischen den Bildern liegen. Erst wenn man den verdunkelten Raum verlässt, bricht der Zauber dieser Illusion.

Und dann steht man vor der titelgebenden Schwarzweiß-Aufnahme „Shades of Time“, die auf eine Leinwand gedruckt ist. Es ist der Name eines Ladens, wie ein Schild verkündet, das auf einer Englandreise aus dem fahrenden Auto aufgenommen wurde. Und als ob es der Geschäftsbesitzer geahnt hätte, ist das Foto verschattet. Der Schatten der Zeit ist das, was die Bewegung des Autos und damit die lineare Bewegung der Zeit, auf dem Film hinterlassen hat. Oft sind es jedoch Orte, die sich gleichbleiben und die dadurch eine gewisse Geborgenheit vermitteln, an denen Annelies Štrba ihre Kinder und Enkelkinder fotografiert. Sie schlafen in ihren Betten, bilden mit ihren Geschwistern Banden, sitzen auf Sofas und an Küchentischen, die später ihre eigenen werden. Ein Mädchen, lange Haare, Engelsflügel, neben einem Wasserfall im Wald aufgenommen. Wie in der Kindheit scheint Zeit im Überfluss da zu sein. Die Fotos von Fassaden aus Leipzig oder dem früheren Ostblock wie „Sosnowiec“ von 1985 halten einen Zustand des Zerfalls fest, der Armut und des Desinteresses. Hier ist so gar nichts von Nonchalance und Patina zu spüren.

Als in der Kunsthalle Zürich 1990 erstmals eine Einzelausstellung von Annelies Štrba zu sehen war, stieß ihre Art der Fotografie, die so gar nicht dokumentarisch und clean war, auf Unverständnis. Nicht grundlos hat sie den Titel ihrer jetzigen Schau in Winterthur „Bunt entfaltet sich mein Anderssein“ einem Gedicht von Emmy Ball Hennings entlehnt. Die Künstlerin war nicht nur Autorin und Sänger, sie gehörte auch zu den Mitbegründern des Zürcher Cabaret Voltaire. Es ist etwas Poetisches um diese Aufnahmen, eine leichte Melancholie über das Verschwinden der Zeit und eine Ahnung, dass in einer Familie zwar alles aufgehoben ist, dass dies für den Einzelnen jedoch nicht immer ein Trost ist.