Monira Al Qadiri: Mutant Passages.
Kunsthaus Bregenz, Karl-Tizian-Platz, Bregenz.
Montag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 2. Juli 2023.
Zwei Schritte ins Museum und schon fühlt man sich wie Alice im Wunderland: Fünf riesige bunte Luftballons schweben da unter der Decke, manche sehen aus wie ein bunter Haufen Tabletten, andere wie Blüten. Ihre schillernde Oberfläche erinnert an Perlmutt, aber auch Schlieren von Erdöl schimmern in genau diesen Regenbogenfarben. Tatsächlich handelt es sich bei den seltsamen Gebilden um überdimensionierte Kohlenwasserstoffmoleküle wie Naphthalin, Propan oder Benzol. Stoffe, die aus Erdöl gewonnen werden und überall im Alltag anzutreffen sind. Zu Luftballons mutiert prägen die Stoffe den Museumsraum, stabil sind sie aber nicht: ein Piks, ein Loch – und alles fällt in sich zusammen.
Al Qadiri wurde 1983 im Senegal geboren und wuchs in Kuwait auf. Als Kind erlebte sie den großen Wohlstand, der aus der alles beherrschenden Ölindustrie resultierte, aber auch den Irakkrieg. Heute lebt und arbeitet sie in Berlin. Ihre aktuelle Ausstellung „Mutant Passages“ im Kunsthaus Bregenz dreht sich vor allem um die Auswirkungen der Ölindustrie auf den Menschen und die Umwelt, aber auch um Genderfragen. Im ersten Stock surren zwei seltsame Wesen leise vor sich hin: die Oberfläche aus Autolack changiert zwischen Grün, Pink und Lila, die Formen erinnern an eine Krone oder an einen riesigen Phallus. Es sind überdimensionierte Bohrköpfe, wie sie bei der Ölförderung zum Einsatz kommen. An der Wand eine ganze Reihe weiterer Versionen von Bohrköpfen, kleiner und ganz in Weiß ähneln sie den Skeletten von Seeigeln. Sie wirken wie das feminine Pendant zum großen Phallus in der Mitte. „Ich bin eine Frau, aber ich war schon immer von Männlichkeit fasziniert“, sagt Al Qadiri. „In einer patriarchalen Gesellschaft wie in meiner Heimat steht ein Mann für Kraft und Energie. Der einzige Weg zu Stärke und Einfluss ist, ein Mann zu werden. Es geht mir nicht um sexuelle Identität, sondern um Wirksamkeit.“ Im zweiten Obergeschoss begegnen uns zwei riesige Stachelschnecken: raumhoch und knallrot. Aus den Löchern, die in ihr Inneres führen, dringen zwei androgyne Stimmen: Die Schnecken unterhalten sich über eine plötzliche Geschlechtsumwandlung. Ausgangspunkt der Arbeit ist eine rote Farbe, die den Rumpf von Öltankern gegen Algen- und Muschelbewuchs schützt. Doch die Substanz löst sich im Wasser und verändert den Hormonhaushalt bestimmter Schneckenarten so stark, dass weiblichen Tieren ein Penis wächst. Nur leider: Wenn alle Individuen männlich werden, stirbt die Population. Al Qadiris Schnecken aber finden ihr neues Dasein gar nicht so schlecht. Sie sind froh darüber, dass die Zeit der endlosen Geburten vorbei ist und fühlen sich befreit. „Offenbar gibt es da eine dunkle Seite in meiner Arbeit“, sagt sie und erzählt von ihrer Dissertation: „Damals habe ich mich mit der Ästhetik der Melancholie im Mittleren Osten auseinandergesetzt. In der arabischen Welt ist Trauer ein edles Gefühl, ich denke, das hat etwas mit dem Klima und der Wüste zu tun“.
So wie Al Qadiri hier das Sterben einer Art als individuelle Befreiung inszeniert, so zelebriert sie in „Onus“ die Schönheit in der Zerstörung: Auf spiegelglattem, weiß glänzenden Fußboden liegen Dutzende schwarze Vögel aus massivem Glas, daneben kleine schwarze Flecken, wie zu Boden gefallene Tropfen. Alles glänzt, wirkt kalt, nass, glitschig. Die Vögel erinnern an die Bilder von Ölkatastrophen, wie wir sie aus der Zeitung oder aus dem Fernsehen kennen. Monira al Qadiri hat solch eine Katastrophe selbst erlebt. Vor ihrem Abzug aus Kuwait hatten irakische Truppen mehr als 900 Bohrtürme in Flammen gesetzt, das Öl brannte monatelang und verursachte eine der schlimmsten Umweltkatastrophen aller Zeiten. Während ihres Kunst-Studiums in Japan konfrontierte ein Professor die Klasse mit Fotos der Katastrophe und behauptete, sie seien Fake: nicht mehr als inszenierte Propaganda. Eine zutiefst verstörende Situation für die Künstlerin: Sie begann, an ihren eigenen Erinnerungen zu zweifeln. Mit der Nachbildung als massive Körper vergewissert sich die Künstlerin ihrer eigenen Erinnerungen. Das Material Glas verweist zugleich auf die Fragilität dieser Erinnerungen. Al Qadiris Stärke liegt vor allem darin, der Ambivalenz der Dinge Raum zu geben. Schrecken und Schönheit, Natur und Technik, Feminines und Männlichkeit: alles kommt bei ihr zusammen.