Jonas Van Holanda, Träger des Helvetia Kunstpreises 2022, zu sehen an der Liste Art Fair, Messe Basel, Halle 1.1. 12. bis 18. Juni 2023.
Montag 18.00 bis 20.00 Uhr, Dienstag bis Samstag 12.00 bis 20.00 Uhr, Sonntag 11.00 bis 16.00 Uhr.
www.liste.ch
Jonas Van Holanda verarbeitet die Verwundbarkeit von Identitäten und den Nachhall kolonialer Albträume in sphärischen Videoinstallationen. Dafür erhält er in diesem Jahr den Helvetia Kunstpreis, der mit 15.000 Franken dotiert ist. 1989 in Brasilien geboren, lebt Van Holanda heute in Genf, wo er gerade seinen Master in Visual Arts an der HEAD macht. Daneben arbeitet er als Koch. Die richtigen Zutaten finden und aufeinander abstimmen, damit aus den Einzelheiten eine Einheit wird – so könnte man auch sein Arbeiten beschreiben. Sein Rezept: Ton, Text und Video miteinander vermengen. Heraus kommen einnehmende audio-visuelle Installationen. Wie etwa „Crystal Ages (Disambugation)“.
Aus einer fluiden Masse erwachsen kristalline Formen, die schlussendlich zu Zahnreihen werden. In dem dazugehörigen Text heißt es: „I dreamed I lost all my teeth“. Der klassischen Deutung nach ist das ein Zeichen von Verlustangst. Das Verlieren der eigenen Identität unter postkolonialistischen Strukturen? Denn unsere Zähne enthalten als unverwechselbares Erkennungsmerkmal Spuren unserer persönlichen Geschichte. „Matter is the encoding of memory, our bodies are compost that trigger information.“ Der Kolonialismus hatte stets versucht, Menschen mundtot zu machen, sie ihrer Vergangenheit und ihrer Eigenheiten zu berauben. Die Zahnprothesen in der parallelen Arbeit „Disambiguation“ sind die angriffslustige Antwort auf diesen Versuch des Westens. Nun beißen die Unterdrückten zurück. Mit Edelsteinen aufgerüstet und nach den Kieferabdrücken von trans Personen geformt, rücken Van Holandas skeletthafte Münder mit einem Ziel an: kolonialistische Sprache zu zermalmen.
Weniger konfrontativ ist die aktuelle Arbeit „Moving towards us“, zu sehen in der Ausstellung Plattform22 in der Kunsthalle Palazzo in Liestal. Das Video beginnt mit vorbeistreifenden Landschaften, als hätte man auf der Autofahrt den Kopf ans Fenster gelegt. Ein guter Moment für philosophische Überlegungen. Synthetische Musik begleitet den Text, der auf poetische Weise zwei komplexe Themen miteinander verwebt: Quantenphysik und die körperlichen Veränderungen durch eine transgeschlechtliche Angleichung, wie sie auch van Holanda selbst erlebt hat. Im Raum stehen Begriffe wie Zeitdilatation und negative Entropie. Wie verändert sich die Wahrnehmung unserer Umwelt, wenn wir uns mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten bewegen? Vergeht die Zeit anders? Auch ohne die Theorien dahinter zu verstehen, kann man die emotionale Wucht verspüren, mit der die Faszination für Physik auf die Eigenwahrnehmung im Prozess der Transformation eingewirkt haben muss. Der Körper verliert in der unendlichen Masse der Zeit an Bedeutung, er wird zu einem Geist, einer leblosen Frequenz, die sich mit Lichtgeschwindigkeit auf uns zubewegt.
Setzt man die einzelnen Werke Van Holandas miteinander in Beziehung, scheinen sie Kontrastpunkte auszuloten. Auf der einen Seite das Urprüngliche und Haptische wie Erde und Kristalle, auf der anderen Unsichtbares wie Klänge, Charakterzüge, Machtstrukturen. Durch Transformation wirken die Sphären aufeinander ein, werden das jeweils andere. Oder sie durchdringen es nur. Jedoch nie, ohne Spuren zu hinterlassen, auf denen Van Holanda ihnen auf seiner Forschungsreise folgen kann.