Andrea Büttner, Der Kern der Verhältnisse: Was Gemeinschaften zusammenhält

Andrea Büttner
Andrea Büttner, Der Kern der Verhältnisse, 2023, Ausstellungsansicht Kunstmuseum Basel, Foto: Max Ehrengruber, © Andrea Büttner & ProLitteris, Zürich
Review > Basel > Kunstmuseum Basel Gegenwart
8. Juni 2023
Text: Annette Hoffmann

Andrea Büttner: Der Kern der Verhältnisse.
Kunstmuseum Basel / Gegenwart, St. Alban-Rheinweg 60, Basel.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr.
Sowie Kunstmuseum Basel / Hauptbau und Neubau, St. Alban-Graben 16, Basel, Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 1. Oktober 2023.
www.kunstmuseumbasel.ch

Es erscheint ein Katalog bei Hatje Cantz, Berlin 2023, 58 Euro | ca. 74.90 Franken.

Andrea Büttner
Andrea Büttner, Der Kern der Verhältnisse, 2023, Ausstellungsansicht Kunstmuseum Basel, Foto: Max Ehrengruber, © Andrea Büttner & ProLitteris, Zürich
Andrea Büttner
Andrea Büttner, Karmel Dachau, 2019, Der Kern der Verhältnisse, 2023, Ausstellungsansicht Kunstmuseum Basel, Foto: Julian Salinas, © Andrea Büttner & ProLitteris, Zürich

In den 2010er Jahren über religiöse Frauengemeinschaften bei Rom zu arbeiten, setzte einiges an innerem Gleichmut voraus. Kollaboriert wurde viel, doch war der Zusammenschluss hedonistischer, hipper und mehr auf das eigene Fortkommen als auf Kontinuität angelegt. Obgleich dem Werk von Andrea Büttner (*1972) etwas anhaftet, was profund dem Zeitgeist entgegengesetzt ist, war sie 2017 für den Turner Preis nominiert und sechs Jahre später richtet ihr das Kunstmuseum Basel nun eine große Retrospektive aus. Und da sie als Künstlerin nicht allein daran interessiert ist, worin der Kitt besteht, der Gemeinschaften zusammenhält, sondern auch wie derjenige beschaffen ist, der über Jahrhunderte hinweg eine Kommunikation über Bilder ermöglicht, zeigt sie auch Arbeiten, die an Aby Warburgs ikonografische Recherchen erinnern. Zudem baut sie Brücken zur mittelalterlichen Kunst aus der Sammlung des Basler Kunstmuseums.

Wer Büttners Ausstellung „Der Kern der Verhältnisse“ betritt, sieht als eine der ersten Arbeiten ihre neuere Diaprojektion „Kunstgeschichte des Bückens“. Sie öffnet den Zugang zu weiteren Werken. Büttner hat quer durch die Jahrhunderte und die Kulturen Gesten und Körperhaltungen gesammelt. Es wirkt wie eine schwarz-humorige Bebilderung der Vertreibung aus dem Paradies. Das irdische Dasein des Menschen ist nichts ohne die Erde. Und die notwendige Feldarbeit, der wir unsere Nahrung verdanken, ist mit dem Bücken verbunden, das zeigen altägyptische Darstellungen ebenso wie Miniaturen aus mittelalterlichen Stundenbüchern. Auch das Aufziehen von Kindern ist an diese hinwendende Körperhaltung gekoppelt und so finden sich in Büttners Auswahl auch Mütter mit ihren Babys. Die in Berlin lebende Künstlerin hat aus diesen Bildern Gesten der Demut kondensiert und sie mit nur wenigen Linien als Holzschnitte verwirklicht. Ähnlich war bereits die Diaprojektion „Shepherds and Kings“ aus dem Jahr 2017 aufgebaut. Hier interessierte sie die Aufhebung der sozialen Trennung zwischen Hirten und Königen, die durch die Anbetung des Jesuskindes für diesen Moment außer Kraft gesetzt war. Büttner hat diese Darstellungen nicht allein durch Grafiken von Rubens aus dem Basler Kupferstichkabinett erweitert, die ein Bettlermotiv aufweisen, in Vitrinen liegen Reproduktionen weiterer Drucke aus. Sie stammen aus Aby Warburgs Londoner Institut. Auf der Rückseite sind die Provenienzen notiert. Die Blätter mögen sich zwar mit Armut befassen, doch zugleich sind sie hoch gehandelte Objekte des Kunstmarktes.

Demut und Scham – Büttner hat am Royal College of Art in London über „Perspectives on Shame and Art“ promoviert – sind Komplexe, die ihr Werk strukturieren. So setzte sie mit einer Werkgruppe über die Karmeliterinnen in Dachau ab 2019 ihre Auseinandersetzung mit dem Frauenorden bei Rom fort, die sie auf der documenta 12 zeigte. Das Kloster wurde 1964 in unmittelbarer Nähe der KZ-Gedenkstätte gegründet. Die Schwestern reflektieren durchaus die ambivalente Nachbarschaft, die wirkt als lenke sie die Aufmerksamkeit von den jüdischen Opfern auf die hier ermordeten Geistlichen. Doch Büttner geht noch weiter, indem sie überwucherte Beete auf dem KZ-Gelände fotografiert. Es sind die Relikte der biodynamischen Landwirtschaft, die die SS hier von Zwangsarbeitern auf zudem völlig ungeeignetem Terrain betreiben ließ. Viele von ihnen kamen dabei um. Büttner erinnert damit auch an den gemeinsamen Ursprung von Faschismus und Lebensreformbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts. Wie wenig die aktuelle Rückbesinnung auf das Gute, Einfache und Schöne dies reflektiert, zeigt sie in ihrem Video „What is so terrible about craft? / Die Produkte der menschlichen Hand“ von 2019. Hier stellt Büttner die Versuche von Nonnen, ihre Gemeinschaft mit dem Verkauf ihrer Erzeugnisse finanziell zu retten der Vermarktung im Manufactum-Verlag gegenüber. Damit einher geht nicht nur die Verwandlung in ein Luxusprodukt, sondern auch eine Instrumentalisierung für einen bestimmten Lifestyle, der sich seiner Wurzeln oft nicht bewusst ist.