Exzentrische 80er. Tabea Blumenschein, Hilka Nordhausen,
Rabe perplexum und Kompliz*innen aus dem Jetzt.
Kunsthaus Hamburg, Klosterwall 15, Hamburg. Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr. 25. März bis 21. Mai 2023. www.kunsthaushamburg.de
„Nur ein toter Rabe ist ein lieber Rabe.“ So steht es in Großbuchstaben in einem Künstlerbuch von Manuela Hahn alias Rabe perplexum. Der Text ist um eine Fotografie herum geschrieben, auf der man Rabe perplexum essen sieht. Der Rabe trägt eine schwarze Lederjacke, das Gesicht ist grellgelb bemalt und es liegt darin ein provozierender Ausdruck. Nein, lieb war Rabe perplexum nicht, wie sich die 1956 in München geborene und 1996 ebendort verstorbene Manuela Hahn von 1982 an jenseits der binären Geschlechtszuordnung nannte. Dieser Rabe war Punk. Dieser Rabe war laut und widerspenstig. Und im München der Achtziger sorgte er für Wirbel, wie man in der Ausstellung „Exzentrische 80er: Tabea Blumenschein, Hilka Nordhausen, Rabe perplexum und Kompliz*innen aus dem Jetzt“ im Kunsthaus Hamburg erfährt. Die sehenswerte kunsthistorische Schau rückt damit drei Exzentrikerinnen ins Bild, die damals aus Vielem rauswollten. Raus aus den gesellschaftlichen Normen. Raus aus der institutionalisierten Kunst. Raus aus dem herkömmlichen Vermarktungssystem und aus den künstlerischen Ghettos. Ihre „Ausbruchsversuche“ unternahmen sie im Verbund mit Freunden, künstlerischen Banden, weshalb das erste Kapitel „Bandenbildung“ heißt. Bei Rabe perplexum führte das zu Aktionen im öffentlichen Raum und frühen Formen digitaler Videokunst. Tabea Blumenschein (1952-2020) war Schauspielerin, Performerin, Musikerin, sie entwarf Kostüme für Film und Theater, fertigte Zeichnungen, Gemälde an. Hilka Nordhausen (1949-1993) gründete in Hamburg den Off-Space „Buch Handlung Welt“, der Buchladen, Kunstraum und sozialer Treffpunkt war. Dort traf sich die Subkultur, die Avantgarde, es gab Lesungen, Filme, Performances.
Rekapituliert wird das in der von Burcu Dogramaci, Ergül Cengiz, Philipp Gufler, Mareike Schwarz und Angela Stiegler konzipierten Schau, zu der ein Katalog, Screenings und Gespräche gehören, in drei Kapiteln. Neben der „Bandenbildung“ sind das „Verwandlung“ und „Widerspenstigkeit“. Zu sehen sind Originalwerke, Fotos, Filme, Bücher, Zeitschriften und weiteres Archivmaterial sowie vereinzelte Werke, Objekte, Dokumente von aktuellen Künstlern oder Weggefährten.
Die damit verbundene Absicht ist, eine „andere Geschichte der Kunst der Achtziger“ zu erzählen. Jenseits der „großen männlichen Meistererzählung“, wie die Ausstellungsmacher schreiben. Womit die zuerst in München gezeigt und anschließend nach Berlin wandernde Schau an andere Bestrebungen der letzten Zeit andockt, die Kunstgeschichte aus feministischer, queerer oder postkolonialer Sicht neu aufzurollen. Im Fall von Rabe perplexum führte der Faden zudem zur Münchner Ausstellung „Pop Punk Politik“, wo bis März Exponate aus dem Nachlass zu sehen waren. 2015 drehte Philipp Gufler den Kurzfilm „Becoming Rabe“, der nun auch in Hamburg läuft. Beides holt eine Kunstfigur ins Bewusstsein zurück, die aneckte. Etwa mit ihrer „Rathäuslichen Supp-Ventions-Performance“, wo sie Fördergelder des Kulturreferats für eine Armenspeisung im Rathaus-Innenhof ummünzte. Hier ging es um direkte „Action“, wie bei Hilka Nordhausen, der es ebenfalls um „schnelle Sachen“ ging. Die setzte sie mithilfe des Fotokopierers um. Mit Gleichgesinnten brachte sie kopierte Zeitschriften und Kunstbücher heraus, ihr Slogan: „Die Bewegung geht vom Buch aus!“. Dass diese Form der Selbst-Publikation bald „verstaubt“ war, hatte Nordhausen schon 1991 erkannt. Heute wirkt dieses schnelle und vernetzte Arbeiten und Denken wieder sehr aktuell. Tabea Blumenschein ist vor allem für ihre Filme mit Ulrike Ottinger bekannt und durch ihr Mitwirken bei den Bands Geniale Dilletanten und Die tödliche Doris. In der queeren Westberliner Subkultur war sie eine Ikone. Ihre bunten Gemälde und Zeichnungen waren lange nur Freunden bekannt. Wie beim Raben war ihr Wirken eng an ihre Person geknüpft, wie bei Hilka Nordhausen ging es um „Verknüpfung“, „Selfness“, darum, „Vagabund zu sein“. Das war zu exzentrisch für den Kunstmarkt, passte in keine Schublade. Heute, wo alles entgrenzt, vernetzt, fluide ist, fällt die Komplizenschaft damit leichter.