Joan Miró, Neue Horizonte: Auf der Suche nach Lebendigkeit

Joan Miró
Joan Miró, Kopf, Vogel, 1976, Foto: Joan Ramon Bonet, Courtesy Fundació Pilar / Joan Miró a Mallorca Photographic Archive, alle © Successió Miró / 2022, ProLitteris, Zurich
Review > Bern > Zentrum Paul Klee
29. März 2023
Text: Annette Hoffmann

Joan Miró, Neue Horizonte.
Zentrum Paul Klee, Im Fruchtland 3, Bern.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 7. Mai 2023.
www.zpk.org
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen: Snoeck Verlag, Köln 2023, 176 S., 39,80 Euro | ca. 55.90 Franken.

Joan Miró
Joan Miró, Ohne Titel, 1976, Courtesy Fundació Pilar / Joan Miró a Mallorca Photographic Archive, alle © Successió Miró / 2022, ProLitteris, Zurich
Joan Miró
Joan Miró, Frau vor dem Mond II, 1974, Foto: Jaume Blassi, Courtesy Fundació Pilar / Joan Miró a Mallorca Photographic Archive, alle © Successió Miró / 2022, ProLitteris, Zurich
Joan Miró
Joan Miró, Kopf, 1978, Foto: Gabriel Ramon, Courtesy Fundació Pilar / Joan Miró a Mallorca Photographic Archive, alle © Successió Miró / 2022, ProLitteris, Zurich
Joan Miró
Joan Miró bei der Arbeit im Atelier Sert in Palma, ca. 1977, Foto: Francesc Català-Roca, © Photographic Archive F. Català-Roca – Arxiu Històric del Col·legi d'Arqui-tectes de Catalunya

Es muss Joan Miró (1893-1983) ein Gräuel gewesen zu sein, die Kontrolle über sein Werk zu verlieren. 1924 entschied er sich dagegen, das Manifest de Surréalisme zu unterzeichnen. Dabei passte sein Werk denkbar gut zum Surrealismus. Er wollte sich wohl zeit seines Lebens nicht vereinnahmen lassen. Denn Anfang der 1980er Jahre bestimmt er, dass sein Atelier nach seinem Tod bestehen bleiben soll. Dazwischen liegt ein Menschenleben: der Zweite Weltkrieg, dem er erst mit seiner Familie aus Paris in die Normandie entfloh und der nach der Bombardierung Nordfrankreichs durch die Deutschen eine Rückkehr nach Spanien erzwang. Und nicht zuletzt die Franco-Diktatur, die Miró um acht Jahre überlebte. Dazwischen liegen aber auch Jahre des Erfolgs und großer Popularität. Nicht, dass Miró sich dagegen gesträubt hätte, aber gegen eine Verbreitung seines Werkes durch Plakate und Postkarten verwehrte er sich. Wenn schon öffentlicher Raum, dann sah er seine Arbeiten lieber als Skulpturen auf Plätzen oder als Wandrelief wie am Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigshafen, das 1979 ausgeführt wurde.

Das Atelier, das er mit 63 Jahren 1956 auf Mallorca bezog, wurde zu einer Zäsur und Anlass für ihn, seine Kunst zu befragen. Tatsächlich erlaubte seine Größe es ihm, sein während des Krieges versprengtes Werk in seiner Gesamtheit zu sehen und zugleich seine Fundstücke und Zeugnisse der Landwirtschaft, die ihm zeigten, woher er kam, auszubreiten. Und so ist das Atelier so etwas wie das vitale Zentrum der Ausstellung im Zentrum Paul Klee, die „Juan Miró. Neue Horizonte“ heißt. 2018 unternahm die Stiftung Joan Miró eine Bestandsaufnahme des Ateliers, das Spätwerk ist ganz wesentlich mit dem Raum, in dem er arbeitete, verbunden

Nach der Surrealismus-Ausstellung 2016/17 ist es bereits das zweite Mal, dass Werke des katalanischen Künstlers im Zentrum Paul Klee zu sehen sind. Nun liegt der Fokus auf dem Spätwerk, so dass Arbeiten im Vordergrund stehen, die ein Bedürfnis erkennen lassen, das Bisherige zu überdenken. Wie etwa ein Selbstporträt aus dem Jahr 1937, das Miró 1960 übermalt. Die Zeichnung, die darunter liegt, ist kaum noch zu erkennen. Legt er doch eine Figur darüber, die einerseits durch die runden Formen wie eine Kinderzeichnung wirkt, andererseits etwas von einem Graffiti hat. Das rechte Auge ist innen mit einem roten Kreis betont und links unten findet sich eine kleine gelbe Fläche. Ganz ähnlich eignet er sich auch fremde Werke an, so übermalt er etwa Mitte der 1960er Jahre eine Landschaft vom Flohmarkt mit seinem charakteristischen Formenvokabular in Primärfarben. In den 1970er Jahren entsteht die Gruppe der Köpfe. Die schwarzen Köpfe sind auf einen hellen Untergrund, der durch ein paar Tupfen aufgelockert ist, gemalt. Ihnen ist etwas Schelmisches, mitunter auch Diabolisches zu eigen. Sie sehen ein bisschen wie übel gelaunte Kobolde aus, denen man kaum zutraut, etwas Böses im Sinn zu haben.

Doch viele der Arbeiten des Spätwerks, die nun in Bern zu sehen sind, sind durch eine radikale Reduzierung bestimmt. Je einfacher, desto lebendiger, war seine Auffassung. Am radikalsten verwirklichte er dies wohl in einer „Landschaft“ aus dem Jahr 1968. Auf der hellen Fläche ist bis auf einen blauen Punkt nichts zu sehen. Wobei, was heißt schon nichts? Zwei Jahre später entstehen erste Tapisserien, für die er mit dem Weber Josep Royo zusammenarbeiten wird. Miró bemalt nicht nur das grobe Sackleinen, er appliziert auch ein Stück Stoff auf es und einige Kettfäden hängen in Bündeln herunter. In seinem Atelier setzte er diese Webstücke kontrolliert dem Feuer aus wie er auch einige seiner Bilder mit dem Bunsenbrenner bearbeitete, so dass das Feuer Löcher in die Leinwand fraß und die Keilrahmenkonstruktion offen legte. Das Spätwerk umfasste mit mehr als 25 Jahren nicht nur eine außerordentlich lange Zeitspanne, es war auch ungewöhnlich experimentell.