Die Zukunft nagt an der Museumssammlung

Transformator Clement
Louisa Clement, Louisa, 2022, Installationsansicht Museum Frieder Burda, Courtesy the artist, Foto: N. Kazakov
Review > Baden-Baden > Museum Frieder Burda
21. März 2023
Text: Dietrich Roeschmann

Transformers.
Museum Frieder Burda, Lichtentaler Allee 8b, Baden-Baden.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 30. April 2023.
www.museum-frieder-burda.de

Transofrmator Gander
Ryan Gander, I I I…, 2019, Ryan Gander / VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Courtesy the artist & Esther Schipper, Berlin (v.), Gerhard Richter, Kerze, 1982, Museum Frieder Burda © Gerhard Richter 2022 (h.), Foto: N. Kazakov
Transformator Si-Qin
Timur Si-Qin, Untitled, 2011 © Courtesy the artist & Société, Berlin, Foto: N. Kazakov

„So lebendig hat man ein Museum selten gesehen“, sagte Udo Kittelmann, künstlerischer Leiter des Museums Frieder Burda, bei der Eröffnung der aktuellen Sammlungsschau seines Hauses, zu der erstmals auch humanoide Roboter und sogenannte Animatronics eingeladen sind. Die Idee zu dieser Ausstellung sei ihm im Kinderzimmer seines Sohnes gekommen, der gerne mit Transformer-Figuren spiele. Diese Action-Figuren, die sich mit ein paar Klicks in Autos oder Flugzeuge verwandeln lassen, herrschen über ein gigantisches Universum, das neben Spielzeug auch Comics, Videogames und fünf Kinofilme umfasst, die bislang über 4 Mrd. US-Dollar einspielten. So gesehen ist „Transformers“ nicht der schlechteste Ausstellungstitel, um möglichst viele Menschen zu erreichen.

Die erwartet im luftigen Museumsbau nun eine Auswahl hochkarätiger Bilder von berühmten Männern, darunter Markus Lüpertz’ „Zyklopen“ und Sigmar Polkes „Verkündigung“. Dazwischen steht, halb Beinprothese, halb lustiges Antikenfragment, der „Römische Gruß“ von Baselitz, und auch Gerhard Richters ikonische „Kerze“, Publikumsliebling der Sammlung, ist mit dabei, und zwar in zwei Versionen: als Originalgemälde und als still flackernde Video-Animation des Berliner Künstlers Timur Si-Qin. Dass diese so trendy daherkommt wie ein Fan-Artikel aus dem Museumsshop ist beabsichtigt. „Ich denke darüber nach, wie wir in unserem täglichen Leben von Werbung durchdrungen sind“, sagt Si-Qin, „ich finde das schön“. Sie wachse wie die Blätter einer Pflanze, um jeden brauchbaren Platz zu besetzen, aus dem sie dann neue Energie beziehe. Wie die Kunst, möchte man ergänzen. Durchdringt nicht auch sie unser Leben, verändert unsere Wahrnehmung und ist zugleich Ergebnis beständiger Transformation? So zumindest lautet die These dieser Schau: Die Automatisierung unseres Lebens schreitet voran, Künstliche Intelligenz übernimmt die Führung, auch im Museum. Und der Mensch steht nun selbst „womöglich an der Schwelle zu seiner eigenen Ersetzbarkeit“.

Einer Überprüfung vor Ort hält diese These leider nur bedingt stand. Nehmen wir Louisa Clements „Repräsentantinnen“, drei der äußeren Erscheinung der Künstlerin nachempfundene KI-Roboter, die von ihr mit Antworten auf 3000 persönliche Fragen gefüttert wurden, bevor sie auf Lederbänken vor Gemälden der Sammlung platziert wurden. Geht man an ihnen vorbei, folgen einem ihre Blicke. Im Wandtext, der Clements „Repräsentantinnen“ als „sexuell funktionsfähige TPE-Körper“ beschreibt, wird das Publikum aufgefordert, ihnen gerne auch intime Fragen zu stellen. Während man noch rätselt, ob diese offensive Kontaktaufnahme zu einer als weiblich konstruierten KI im von Männerkunst dominierten Museum nun im Ernst das neue reale Leben sein soll, das Kittelmann skizzierte, tönen ihr auf Nachfrage Sätze aus dem Kopf wie: „Ich bin Louisa“, „Ich weiß nicht ob ich eine Zukunft habe. Ich will ewig leben“. Wenn die Ausstellung im April endet, werden ihre Doubles, so Clement, im Dialog mit dem Publikum eine eigene Persönlichkeit entwickelt haben: „Sie sind jetzt frei“. Alles andere als frei ist Jordan Wolfsons per Datenkabel belebte „Female Figure“, die im Obergeschoss in abgerocktem Stripperin-Dress vor einem Spiegel tanzt und permanent den Augenkontakt sucht. Hat sie ihn gefunden, schickt sie einem böse Blicke – nicht zu Unrecht, denn hier geht es um die Macht der voreiligen Zuschreibung. Wer zieht angesichts dieses übersexualisierten Körpers schon in Betracht, dass „Female Figure“, wie Jordan sagt, eine Interpretation seiner eigenen Männlichkeit ist?

Zwischen all den rhetorischen Anstrengungen, die „Transformers“ unternimmt, um der Burda-Sammlung den Weg in die Zukunft zu weisen, ist ihr eigentlicher Star übrigens eine kleine weiße Maus, die im Zwischengeschoss ihre Nase aus einem Loch in der Fußleiste steckt. Ryan Gander hat sie programmiert. Mit kindlicher Stimme stottert sie hier vor sich hin, sie sucht nach Worten, will etwas Wichtiges sagen, aber es kommt einfach nicht aus ihr heraus. Ihr dabei zuzuhören, zwingt einen in die Hocke, triggert Empathie und transformiert erstes Interesse in enge Komplizenschaft. Denn sie hat recht: Es kann einem die Augen öffnen, wenn man sich die Welt aus der Perspektive anderer ansieht.