Einatmen, innehalten, ausatmen. Eine Ausstellung über Bildformen des Atmens

Joachim Koester, Cannabis (#7), 2021, Archivpigmentdruck, 90 x 72,5 cm, Courtesy the artist and Galerie Nicolai Wallner, Kopenhagen
Review > Hamburg > Hamburger Kunsthalle
11. Januar 2023
Text: Nicole Büsing & Heiko Klaas

Atmen.

Hamburger Kunsthalle,
Glockengießerwall 5, Hamburg.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 21.00 Uhr.
Bis 12. Februar 2023.

www.hamburger-kunsthalle.de

Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen: Hatje Cantz, Berlin 2022, 240 S., 44 Euro

David Zink Yi, Pneuma, 2011, Filmstill, © David Zink Yi and Hauser & Wirth
Natalie Czech, Fact: True Fact, 2020, Courtesy the artist & Kadel Willborn, Düsseldorf, © VG Bild-Kunst, Bonn 2022
Jenny Holzer, IN MEMORIAM, 2020, © VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Foto: Filip Wolak

[—artline Nord] Wie ist der Atem im Medium der Kunst darstellbar? Welche Bilder und Metaphern kann man dafür finden? Die Gruppenausstellung „Atmen“ in der Hamburger Kunsthalle geht jetzt erstmals weltweit solcherlei Fragen ausgiebig nach. Die Co-Produktion der beiden Sammlungsleiterinnen Brigitte Kölle für die Gegenwartskunst und Sandra Pisot für die sogenannten Alten Meister setzt Werke aus acht Jahrhunderten in einen spannungsreichen Dialog. 45 Künstler:innen sind mit mehr als 100 Werken in der sehenswerten Schau versammelt, darunter viele Neuproduktionen. Der Atem fungiert nicht nur als Indikator des blühenden und unbeschwerten Lebens. In den Arbeiten werden auch Krankheiten thematisiert, daneben Kriege, Umweltverschmutzung und andere gesellschaftlich brisante Themen.

Zum Auftakt der Schau durchschreiten die Besucher:innen den scheinbar leeren Lichthof der Galerie der Gegenwart. Alle zehn Minuten aber füllt er sich mit Seifenblasen. Was auf den ersten Blick spielerisch wirkt, entpuppt sich als eine politisch aufgeladene Arbeit der mexikanischen Künstlerin Teresa Margolles. Das Wasser für die Seifenblasen enthält Partikel, die sie an Tatorten von Gewaltverbrechen an der amerikanisch-mexikanischen Grenze aufgesammelt hat. Auch unter den Alten Meistern findet sich das klassische Vanitas-Motiv eines Seifenbläsers, und zwar in der Darstellung des „Seifenblasenden Jungen“ eines unbekannten holländischen Meisters aus dem 18. Jahrhundert.

Im ersten Obergeschoss bildet die minimalistische Neonarbeit „Inhale – Hold – Exhale“ (2016) des dänischen Künstlers Jeppe Hein den Auftakt. Sie lässt an Yoga-Übungen denken und den Versuch, unseren eigenen Atem bewusster wahrzunehmen und zu steuern. Eine Terracottaskulptur des italienischen Arte-Povera-Künstlers Guiseppe Penone wiederum stellt eindrucksvoll den Durchfluss des Atems durch den menschlichen Körper dar. Gleich um die Ecke dann Flöte spielende Knaben aus dem 17. Jahrhundert von Hendrick ter Brugghen und dagegengesetzt der Film „Pneuma“ (2011) von David Zink Yi, in dem ein Trompetenspieler das hohe C so lange hält, wie sein Atemvolumen es eben zulässt.

Von Oscar Muñoz stammen minimalistisch wirkende, kreisrunde Spiegelplatten. Haucht man sie an, so erscheinen Porträtfotos von Opfern politischer Gewalt aus Todesanzeigen kolumbianischer Zeitungen. Das Anhauchen ist auch Thema von Godfried Schalcken. Auf seinem Gemälde aus dem späten 17. Jahrhundert sieht man einen Jungen, der auf einen glühenden Holzscheit pustet, um ein Feuer neu zu entfachen. Auch das Thema Rauchen taucht gleich mehrmals in der Ausstellung auf. Eine sehr eindrückliche Raucherdarstellung aus dem 17. Jahrhundert findet sich bei Hendrick van Someren, der den Heiligen Hieronymus als Genussraucher mit Tabak und Weinglas darstellt. Natalie Czech wiederum hat Zigarettenstummel seltener Marken fotografiert und so kombiniert, dass die auf dem Zigarettenpapier aufgedruckten Markennamen kleine Gedichte ergeben.

Die Ausstellung findet ihre Fortsetzung im Hubertus-Wald-Forum. Hier zu sehen sind zum Beispiel Videoarbeiten von Anri Sala und dem Kollektiv Forensic Architecture sowie Textarbeiten von Jenny Holzer. Ein beklemmender Schlussakkord beendet den Rundgang. Vorbei an nüchternen Fotografien Lucinda Devlins, die die aseptische Unmenschlichkeit US-amerikanischer Gaskammern zeigen, und Francisco de Goyas Galgenbildern aus seiner berühmten Grafikfolge „Los desastres de la guerra“, mündet die Ausstellung in eine Sackgasse mit der eindringlichen Schwarz-Weiß-Aufnahme einer Gaskammer im Konzentrationslager Stutthof des deutschen Fotografen Dirk Reinartz. Ein staatlich verordneter Tod durch den letzten Atemzug. Diese kuratorische Setzung ist jedoch versehen mit der Hoffnung, dass sich Geschichte niemals wiederholen möge.