Georges Adéagbo: A l´école de Ernest Barlach, le sculpteur

Georges Adéagbo in der Ausstellung „Nimmersatt? Gesellschaft ohne Wachstum denken“, LWL-Museum für Kunst und Kultur, Münster 2021, Foto: LWL-MKuK/Hanna Neander, © Georges Adéagbo / VG Bild-Kunst, Bonn 2022
Review > Hamburg > Ernst Barlach Haus
13. Dezember 2022
Text: Belinda Grace Gardner

Georges Adéagbo: A l´école de Ernest Barlach, le sculpteur.

Ernst Barlach Haus,
Baron-Voght-Str. 50a, Hamburg.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 19. Februar 2023.

www.barlach-haus.de

Im Auftrag von Adéagbo überträgt Schildermaler Benoît Adanhoumè Ernst Barlachs „Russisches Liebespaar“ auf Leinwand, 2022, Foto: Stephan Köhler, © Georges Adéagbo / VG Bild-Kunst, Bonn 2022
Von Adéagbo in Auftrag gegebenes Banner für seine Ausstellung im Ernst Barlach Haus, Hamburg 2022, Foto: Marc Autenrieth, © Georges Adéagbo / VG Bild-Kunst, Bonn 2022
La révolution et les révolutions, 2016, 11. Shanghai Biennale, Foto: Alessandro Wang, © Georges Adéagbo / VG Bild-Kunst, Bonn 2022

[—artline Nord] In Georges Adéagbos vielteiligen Konglomeraten aus Bildern, Figuren, Büchern, selbst verfassten philosophischen Texten, Magazinen, Plattenhüllen, Fundstü­cken und Alltagsgegenständen verweben sich die einzelnen Elemente zu vielschichtigen Narrativen. Die multidimensionalen Erzählungen des 1942 in Cotonou geborenen Künstlers, der seit langem zwischen Benin und Hamburg pendelt und auf der ganzen Welt aktiv ist, verlaufen nicht chronologisch. Sie entfalten sich in der Gleichzeitigkeit ineinander verschlungener Stränge neben- und miteinander. In seinen stets auch ortsspezifischen Installationen führt Adéagbo Geschichte als verzweigtes Geschehen vor Augen, das aus persönlichen und kollektiven Historien hervorgeht. Adéagbo ist ein Forschungsreisender, der sein transkulturelles Werk aus ästhetischen und gesellschaftspolitischen Untersuchungen schöpft, die poetisch-assoziativen Wegen folgen. Meist gehen seine raumfüllenden Arrangements von einer zentralen Idee aus. Um diese herum breiten sich seine Arrangements rhizomatisch aus: ein vernetztes Geflecht knüpfend, das mehrspurig lesbar ist.

Der Künstler studierte zunächst in Frankreich Recht und Wirtschaft, musste jedoch nach dem Tod seines Vaters in die Heimat zurückkehren. Dort schuf er seine ersten Installationen fernab jeglicher Öffentlichkeit, bevor ein französischer Kurator und Sammler darauf aufmerksam wurde. Adéagbo erlangte in den 1990er Jahren erste Bekanntheit in der internationalen Kunstszene und nahm an Biennalen unter anderem in Dakar (1996), São Paulo (1998) und Venedig (1999 und 2009) teil. 2002 wurde er zu Okwui Enwezors Documenta11 in Kassel eingeladen. Namhafte Ausstellungsinstitutionen in Afrika, Europa, USA, Australien und Japan präsentierten sein Schaffen. Heute gilt er nicht nur als einer der bedeutendsten Künstler aus Afrika, sondern auch als Vorreiter im postkolonialen Diskurs aus der Perspektive des globalen Südens. In seiner Wahlheimat Hamburg wurde Adéagbo 2017 mit dem Kunstpreis Finkenwerder ausgezeichnet, mit begleitender Ausstellung im Kunsthaus Hamburg. 2019 war ein Ensemble des Künstlers im Hamburger Warburg-Haus zu sehen.

Als Hommage zu dessen 80. Geburtstag widmet das Ernst Barlach Haus in Hamburg Georges Adéagbo jetzt die umfassende Einzelschau „A l’école de Ernest Barlach, le sculpteur“. Der Künstler vertieft darin seine bereits länger bestehende Auseinandersetzung mit dem bildhauerischen und zeichnerischen Werk des Expressionisten Ernst Barlach (1870-1938) und verwandelt das Museum selbst in eine ganzheitliche Installation. Hier rücken die existenziellen Themen Barlachs wie Kriegsgewalt und menschliches Leid, Fürsorge und Nächstenliebe in den Fokus und bilden Ausgangspunkte für Fortschreibungen, die gestern mit heute verbinden. In seinem Zeiten, Länder, Medien und Themen übergreifenden Parcours verwickelt Adéagbo den konkreten Schauplatz in einen weitgefassten Dialog. Dieser führt durch Hamburgs (koloniale) Geschichte und aktuelle Gegenwart bis nach Benin, wo Schildermaler und Kunsthandwerker in Adéagbos Auftrag Werke Barlachs in andere Gestalt übertrugen, die in der Ausstellung mit den Originalen wieder zusammentreffen – „eingebettet in einen lebendigen Erzählzusammenhang über Gott und die Welt“, wie es Barlach-Haus-Direktor Karsten Müller fasst.

Auf den Pfaden der Conditio humana verläuft die Backstory der Ausstellung, die die Fülle der Erscheinungen verbindet, von Wut und furioser Ausschweifung bis hin zu liebevoller Hinwendung, geistiger Versenkung und der Transzendenz aller Grenzen und Barrieren.