Flora Photographica, Thames & Hudson, London 2022, 272 S., 59 Euro | ca. 78.90 Franken
Die Tradition der Blumenfotografie ist reich. So reich, dass William A. Ewing vor rund zwanzig Jahren ein kiloschweres Standardwerk dazu veröffentlichte, mit ikonischen Blütenporträts von Man Ray, Robert Mapplethorpe, Julia Margaret Cameron und anderen, das allerdings längst vergriffen ist. Seither hat sich technisch einiges getan – nicht vergessen: es gab damals noch keine Smartphones, und Digtalkameras mit der einst sensationellen Auflösung von 1 Megapixel kosteten ein Vermögen. Die rasante Entwicklung von Hardware, Bildbearbeitungsprogrammen und Social Media haben den künstlerischen Prozess und die Ästhetik floraler Fotografien in den vergangenen zwei Jahrzehnten nachhaltig verändert. Höchste Zeit für ein Update von Ewings Referenzwerk, fand Danaé Panchaud, Direktorin des Centre de la photographie in Genf, und legt nun zusammen mit dem britischen Fotokurator den üppigen Folgeband von „Flora Photografica“ vor, mit rund 200 Arbeiten von Künstler:innen wie Viviane Sassen, David LaChapelle, Pedro Almodóvar oder Nadav Kander. Ein spannendes und blütenprächtiges Sehnsuchtsbuch für graue Wintertage.
Dietrich Roeschmann
Louise Bourgeois: The Woven Child, Hatje Cantz, Berlin 2022, 208 S., 38 Euro | ca. 49.90 Franken
„Ich stamme aus einer Familie von Reparateuren. Spinnen sind Reparateurinnen. Wenn man in ein Spinnennetz schlägt, wird die Spinne nicht wütend. Sie webt es weiter und repariert es“, sagte die 2010 verstorbene französisch-amerikanische Künstlerin Louise Bourgeois in einem Interview. Unermüdlich wie die Spinne arbeitete Bourgeois an ihrer Kunst, in der Themen wie Mutterschaft, Partnerschaft und familiäre Traumata ihren beharrlichen Ausdruck in textilen Skulpturen, Zeichnungen und Installationen finden. Der letzten Phase ihres jahrzehntelangen Schaffens war kürzlich im Gropius Bau Berlin die umfangreiche Ausstellung „The Woven Child“ mit gleichnamigem Katalog gewidmet. Der Katalog zeigt das facettenreiche Werk, in dessen Zentrum der menschliche Körper und seine Hinfälligkeit, die menschliche Psyche und ihre Verletzlichkeit stehen.
Nora Gantert
Siri Hustvedt: Eine Frau schaut auf Männer, die auf Frauen schauen, Rowohlt, Hamburg 2020, 528 S., 14 Euro | ca. 22.90 Franken
Siri Hustvedt ist nicht nur für ihre Romane bekannt, sondern auch eine begnadete Essayistin. Im Sammelband „Eine Frau schaut auf Männer, die auf Frauen schauen“ kann man die Schriftstellerin beim scharfen Denken und konzentrierten Schauen begleiten. Besonders ihrem interdisziplinären Blickwinkel ist es geschuldet, dass Kunstbetrachtung und Kunstkritik bei ihr weit über kunsthistorische Zusammenhänge hinausreichen. Hustvedt stellt ganz grundsätzlich die Frage, was sehen wir und wie sehen wir etwas? Die inhaltlichen Verknüpfungen von Neuro-Wissenschaften und Kunstwissenschaft erweitern das eigene Sichtfeld beim Lesen und die oft von der Kunst abgetrennten Humanwissenschaften ergeben weitreichende Erweiterungen für die Betrachtung von Kunst. Hustvedt schreibt einzelne Texte über konkrete Künstler*innen wie Louise Bourgeois, Anselm Kiefer oder Pina Bausch, um dann in anderen Texten weite Bögen zu ziehen um über Wahrnehmung von Kunst als multisensorisches Erlebnis nachzudenken. Feminismus und das Benennen von Diskriminierung durchziehen das essayistische Werk wie ein roter Faden und sind ein Plädoyer für das Hinterfragen zahlreicher etablierter Mechanismen im Kunstbetrieb.
Nora Gantert
Siri Hustvedt: Die gleißende Welt, Rowohlt, Hamburg 2016, 496 S., 12 Euro | ca. 16.90 Franken
Harriet Burden heißt die Heldin und fiktive Künstlerin in Siri Hustvedts Roman über die Kunstwelt und ihre verdeckten Machtstrukturen. Der Roman nimmt die Form einer Dokumentation des Lebens von Burden an, die nach ihrem Tod veröffentlicht wird. Die Künstlerin selbst kommt durch ihre Tagebücher zu Wort, ihr Lebensgefährte und ihre Kinder steuern Texte und Interviews bei, ihre Kritiker und Kollaborateure beziehen Standpunkt. So entsteht das Bild einer komplexen Persönlichkeit, eingebettet in philosophische Diskurse und kunsthistorisch-feministische Kritik. Beim Lesen kann man Hustvedts literarisches Vermögen bewundern, in verschiedenen Stimmen authentisch zu sprechen, die so glaubwürdig sind, dass man sich immer wieder vergewissern muss, ob das Buch tatsächlich Fiktion ist und aus einer Feder stammt.
Nora Gantert