Rimini Protkoll, Urban Nature: Öffentlicher Raum als Inszenierung

Rimini Protokoll, Urban Nature, 2022, Installationsansicht Kunsthalle Mannheim, 2022, Foto: © Kunsthalle Mannheim, Elmar Witt
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3. Oktober 2022
Text: Annette Hoffmann

Rimini Protokoll: Urban Nature.
Kunsthalle Mannheim, Friedrichsplatz 4, Mannheim.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Mittwoch 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 16. Oktober 2022.
www.kuma.art

Rimini Protokoll, Urban Nature, 2022, Installationsansicht Kunsthalle Mannheim, 2022, Foto: © Kunsthalle Mannheim, Elmar Witt
Rimini Protokoll, Urban Nature, 2022, Installationsansicht Kunsthalle Mannheim, 2022, Foto: © Kunsthalle Mannheim, Elmar Witt

Die Zeit ist eng getaktet, alle acht Minuten geht es weiter. Von Station zu Station. In sieben Szenografien erzählt Rimini Protokoll in „Urban Nature“, was es mit unseren Städten auf sich hat, wer hier lebt und welche Träume ihre Bewohner:innen haben. Und je weiter man in Dominic Hubers Installation vordringt, desto mehr verschränken sich die Räume. Ein Drittel der Besucher von „Urban Nature“ wird selbst zu Akteur:innen. Mit Kopfhörer und Tablet ausgestattet, spielen sie kleine Szenen. Sie mixen aus Zutaten des Neoliberalismus einen Start-up-Cocktail, geben Voucher aus. Sie schultern eine Einkaufstasche, die an der Wand zwischen zwei Betten einer Notschlafstelle hängt, und laufen nach rechts. Kommen sie zurück, tänzeln sie ein paar Schritte. Für die anderen, die auf Barhockern, Bürostühlen, Bänken und Rängen sitzen und auf Projektionsflächen schauen, auf denen zu sehen ist, was die Stellvertreter:innen gerade in der Kunsthalle Mannheim machen, öffnen sich Räume, wird die Zeit angefüllt mit seltsamen Parallelaktionen. Das sieht ein bisschen so aus als bewegte man sich im ganz realen öffentlichen Raum. Doch natürlich weiß man, hier ist alles Inszenierung und Choreografie.

„Urban Nature“ hatte im vergangenen Sommer im Centre de Cultura Contemprània de Barcelona Premiere. Und da die Kunsthalle Mannheim und das Nationaltheater Mannheim zu den Kooperationspartnern des Projektes gehören, ist der Kubus nun am Rhein gelandet. Produktionen von Rimini Protokoll sind oft eine Black Box. Betritt man sie, kann man wie in „Situation Rooms“ Einblicke in das Geschäft mit Waffen bekommen, in den Alltag von Lastwagenfahrern wie in „Cargo“ 2006 in Basel, als man in einem umgebauten Truck durch die Grenzzone gefahren wurde, oder wie es sich lebt, wenn man querschnittgelähmt ist wie in „Qualitätskontrolle“. Meist erzählt das Regie-Autor:innen-Team seine Geschichten aus mehreren Perspektiven, seine Produktionen hallen oft nach, da es dauert bis sich das Gehörte und Gesehene sortiert. Nicht selten überzeugen die Produktionen von Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel durch Poesie und unerwartete Wendungen. Für „Urban Nature“ hat Rimini Protokoll in Barcelona recherchiert, sich etwa mit Enric Tello, einem Umwelt- und Wirtschaftshistoriker getroffen, mit einer Investmentberaterin, die für Leute arbeitet mit zwei Millionen Euro Vermögen, oder mit einer jungen Frau, die als Zwölfjährige über die Enklave Melilla nach Europa kam und nun obdachlos ist. Sie will Flugbegleiterin werden. Wer glaubt, dass sich ihr Traum erfüllt, zeichnet auf die Wand einen Pfeil, der nach oben zeigt. Man gönnt es ihr, nur wenige der Pfeile auf der Tafel zeigen nach unten. „Urban Nature“ ist von der Pandemie und den Lockdowns geprägt. So erzählt die Investmentberaterin, wie sie in dieser Zeit anfing, ihr Viertel zu erkunden und versuchte, sich in seine Bewohner:innen hineinzuversetzen. Es war ein enger Radius, in dem man während des Lockdowns spazieren gehen konnte. Ihr Leben und das anderer „Experten aus der Wirklichkeit“ wie Rimini Protokoll die Gewährsleute dieser Geschichten nennt, haben kaum Schnittmengen.

Einerseits sind diese Barcelona-Geschichten exemplarisch genug, um auch auf andere Städte übertragbar zu sein. Andererseits dürften viele der Besucher:innen selbst Stadt-Experten sein. Es sei denn, sie gehören zu den zwei Milliarden Menschen weltweit, die auf dem Land wohnen – Tendenz steigend, seit das Zusammenleben auf engem Raum eine Pandemie befördert. „Urban Nature“ ist eine phänomenale Installation und genau choreografiert, doch die Diskussion um unsere Städte ist schon weiter. Zu schnell weiß man bei dieser Produktion, was gut, was schlecht ist. Nur selten steht man vor unbehaglichen Entscheidungen wie dieser: Stört es einen nicht, dass Unternehmen in Gefängnissen ihre Produkte montieren lassen, bedeutet, die niedrigen Löhne gutzuheißen. Ist man dagegen, unterbindet man, dass Häftlinge mit ihrem Lohn ihre Familien unterstützen. In welcher Box wird die Schraube landen?