Spieglein, Spieglein: die Reflexion und ich

Heinz Mack, Lichtstadt in der Wüste, 1976, Foto: Thomas Höpker, © VG Bild-Kunst, Bonn 2022
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12. September 2022
Text: Florian L. Arnold

Spieglein, Spieglein.
Kunstmuseum Heidenheim, Marienstr. 4, Heidenheim.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr, Mittwoch 13.00 bis 19.00 Uhr.
Bis 30. Oktober 2022.
www.kunstmuseum-heidenheim.de

Sali Muller, Selfiebox, 2020, © Sali Muller
Jeppe Hein, WHO AM I WHY AM I WHERE AM I GOING (APP II), 2017, Courtesy KÖNIG GALERIE, Berlin, 303 Gallery, New York, Galleri Nicolai Wallner, Copenhagen

„Spieglein, Spieglein an der Wand: Wer ist die schönste Frau im ganzen Land?“ So lautet der Spruch, den wohl die meisten aus dem Märchen „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ von den Gebrüdern Grimm kennen. Hier schon die erste gute Nachricht zur Ausstellung „Spieglein, Spieglein“ im Kunstmuseum Heidenheim: Auch Männer dürfen vor den vielgestaltigen Spiegeln in der Ausstellung stehen und sich ins eigene Abbild verlieben – oder eben auch nicht. Spiegel, einst eine hochteure Kostbarkeit sind heute aus dem Alltag nicht wegzudenken. Sie sind Dekorationsobjekt, Kunst- wie auch Kitschobjekt, täuschen Exklusivität und Luxus vor, wo es oftmals nur um schnöden Konsum geht.

In der Kunst hatte der Spiegel immer seinen Platz, gerade auch in der Kunst der Gegenwart. Die Gruppe ZERO, die nach dem Zweiten Weltkrieg das intellektuelle Vakuum der jungen Bundesrepublik erkannte, spielte mit Licht, Farbe, Struktur, Materialien, Fläche, Raum – und Spiegelungen. In Heidenheim ist dies mit Heinz Macks „Lichtstadt in der Wüste“ von 1959 vertreten. Mack entwickelte Installationen an Orten mit intensivem Licht, etwa in den Wüsten Afrikas, wo er Ensembles aus spiegelnden Objekten errichtete. Freilich hatte er die Idee mit den Spiegelungen, insbesondere den Effekten des sich bewegenden Spiegels, nicht erfunden. In den 1920er Jahren arbeitete etwa László Moholy-Nagy mit seinem „Licht-Raum-Modulator“ an der Grenze zwischen Kinetik und Filmkunst. Der faszinierende mehrteilige Mechanismus ist in Heidenheim zwar nicht physisch sehen, aber Fotografien machen in der beziehungsreichen Hängung vis-à-vis zu Mack und einem weiteren ZERO-Künstler, Uli Pohl, die Werdegänge deutlich. Pohl ist in „Spieglein, Spieglein“ mit drei lichtplastischen Skulpturen vertreten. Ab 1958 arbeitete er mit Acrylglasresten, ab 1961 wurde er Teil von ZERO und ist seiner Formensprache nie untreu geworden. Aus dem Zyklus „Schwerelos“ sind zwei aus einander durchdringenden spiegelnden Quaderformen aufgerichtete Stelen zu sehen. Sie nehmen das Umfeld auf – zumeist der zentrale Ausstellungsraum mit seinen Lichtsituationen sowie andere Spiegelobjekte der Ausstellung – und verändern somit bei jeder kleins­ten Betrachterbewegung ihre Erscheinungsform. Ein Architekturmodell mit spiegelnden Lichtbändern trägt die Idee des durch Licht und Spiegelungen dynamisierten urbanen Alltags in sich.

Das Bemerkenswerte an dieser Themenausstellung sind gerade auch die Auseinandersetzungen mit psychologischen Momenten. Wo sich ZERO und ähnliche Positionen mit den visuellen Gegensätzen von Kontrollierbarkeit und Zufall befassen, wirft Sali Muller den Beobachter auf sich selbst zurück. Das Spiegelbild als Raum des Selbstzweifels, der Selbstbefragung – die „Selfiebox“, in die der Betrachter hineinblickt, übt ebenso elegant wie subtil Kritik am Bilderwahn der Gegenwart. Mit deren zersplitterten Realitäten spielt auch das norwegisch-schwedische Duo Lello Arnell: Realität ist hier etwas Fragiles, Zerspaltenes. Im Werk „Apophenia“ sieht sich der Betrachter in zahlreichen, gekippten, geneigten Spiegelelementen dutzendfach – aber immer nur einen Teil. Fragment bleibt – besser: wird – der Betrachter auch in Jeppe Heins „Who am I, Why am I Here“. Unbehaglich wird man hier vor einem Zwei-Wege-Spiegel auf existenzielle Fragen gestoßen, die jeden tangieren. Das wirkt nach, selbst wenn man bei Sylvie Fleurys gewitzten Beiträgen – ein Lackobjekt, ein Film, in dem glitzernde Weihnachtskugeln zertreten werden – ein amüsiertes Lächeln aufkommen spürt. Raffiniert spielt Till Schilling in „You want it darker“ mit der Selbstzerstörung seines Spiegelobjekts. Wärme- und Kältequellen hinter dem Spiegel bringen ihn langsam zum Bersten. Bersten – das möchten manche Menschen wohl, wenn sie sich im Spiegel sehen. „Spieglein, Spieglein“ ‒ der offenbarende Blick in den Spiegel birgt Gefahren und Genüsse, beides in der Heidenheimer Ausstellung reichlich zu entdecken.