Maude Léonard-Contant

Maude Léonard-Contant, I Owe You a Yoyo, 2019, Installationsansicht Kunsthaus Baselland, Courtesy the artist, Foto: Maude Léonard-Contant
Porträt
29. August 2022
Text: Dietrich Roeschmann

Maude Léonard-Contant: Digs.
Kunsthaus Baselland, St. Jakob-Str. 170, Basel-Muttenz.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr.
9. September bis 13. November 2022.
wwwkunsthausbaselland.ch

Maude Léonard-Contant, No Edit Can Fail Tin, 2020, Installationsansicht Kunstmuseum Luzern, Courtesy the artist, Foto: Maude Léonard-Contant
Maude Léonard-Contant, No Edit Can Fail Tin, 2020, Installationsansicht Kunstmuseum Luzern, Courtesy the artist, Foto: Maude Léonard-Contant
Maude Léonard-Contant, Soapboxing, 2021, Courtesy the artist, Foto: Maude Léonard-Contant

Als im Winter 2020 die öffentlichen Institutionen in der Schweiz pandemiebedingt ihre Türen schlossen, war der Gusssand noch frisch, aus dem Maude Léonard-Contant ihre raumgreifende Arbeit „No Edit Can Fail Tin“ im Kabinett des Kunstmusems Luzern geformt hatte. Wie eine überdimensionale Matte, auf der sich in geometrisch verspieltem Layout in den Sand gepresste Texte in unterschiedlichen Sprachen verteilten, faltete sich die neun Tonnen schwere Installation ziegelrot in den Raum. „Eine Zeit für alles / …“, war da zu lesen, „… Glühende Kohlen / Verlorene Elastizität / Feuchtes Milieu / Allgemeine Panik“ – eine Sammlung von Wortpaaren, die sich irgendwann gefunden haben im Meer der Sprache und dann beschlossen zusammenzubleiben, ob in Redewendungen, News oder PR-Sprech. In einem anderen, französischsprachigen Gedicht, hochkant gegenüber platziert und umfangen von einem Haiku in Englisch, erkundete Léonard-Contant die mimetischen Qualitäten von Sprache und ihre Fähigkeit, sinnliche Reize wie das Geräusch eines Klettverschlusses in der Vorstellung aufzurufen oder das staubig-stumpfe Gefühl an den Fingerkuppen beim Zerreiben von vertrocknetem Rentiermoos. Dass diese poetischen Fragmente während des dreimonatigen Lockdowns, der nur wenige Tage nach der Vernissage begann, für die längste Zeit der Ausstellung allein blieben mit sich und den Fragen zur Darstellbarkeit von Sprache oder den Transformationsverlusten- und gewinnen beim Übersetzen, die sie aufwarfen, hatte eine traurige Ironie.

Schade, denn was Léonard-Contant hier auf begrenztem Raum als eine Art Modell der Imagination durch Sprache ausgebreitet hatte, präsentierte sich zugleich als ein Defilee der Materialien ihres künstlerisches Schaffens. Buchstaben, die sich zu Worten fügen, welche Bedeutungszusammenhänge ergeben, in Rätsel münden oder Lücken öffnen, in die Neues sickert oder in denen jeder Sinn zerrinnt wie im Sand, der formbarer Bildträger ist und dank seiner Konsistenz das Bild zugleich beständig dem drohenden Verlust seiner Form aussetzt. So gesehen ist Sand ein perfektes Material, um über Sprache als virtuelles Medium nachzudenken, das Wirklichkeit in Bewegung formt – und umgekehrt.

Maude Léonard-Contant beschäftigt sich schon seit langem mit Sprache. 1979 im kanadischen Joliette geboren, studierte sie zunächst Kunst im französischsprachigen Montréal, später an der Glasgow School of Art. Schließlich zog sie in die Schweiz. Heute lebt und arbeitet die Bildhauerin in Basel und ist neben ihrer künstlerischen Tätigkeit seit 2017 Mitglied im Team des Lehrstuhls Karin Sander für Architektur und Kunst an der ETH Zürich. Was sie interessiert, ist, was in den Zwischenräumen des Ausdrücklichen passiert, im Unsagbaren, nicht Dokumentierbaren, in der Beziehung zwischen dem Material der Sprache und dem Material der Welt – und auch in der Beziehung zwischen den Sprachen selbst und den unterschiedlichen Räumen körperlicher Erfahrung, die sie öffnen, den Geräuschen, Gerüchen oder Zuständen der Geborgenheit. Nachdem Léonard-Contant 2019 in einer Gruppenschau im Kunsthaus Baselland mit „I Owe You A Yoyo“ eine wunderbar beziehungsreiche, zeichenhafte Installation aus Bambus, Ton und Isolierfolie über die Langsamkeit von Wachstums- und Naturprozessen gezeigt hatte, wird sie in ihrer Soloschau „Digs“ an gleichem Ort nun ihre jüngeren Arbeiten präsentieren – erstmals übrigens in einem nicht abgeschlossenen Setting, das sie während der Ausstellungsdauer beständig verändern wird.