Katharina Grosse, Wolke in Form eines Schwertes: Farbe im Gebüsch

Katharina Grosse, ohne Titel, 2021, Courtesy Galerie nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder, Wien, © Katharina Grosse und VG Bild-Kunst Bonn, 2022, Foto: Jens Ziehe
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30. Mai 2022
Text: Rudolf Schmitz

Katharina Grosse: Wolke in Form eines Schwertes.
Saarlandmuseum – Moderne Galerie, Bismarckstr. 11-19, Saarbrücken.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Mittwoch 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 4. September 2022.
www.modernegalerie.org

Katharina Grosse, ohne Titel, 2020 (r.), Courtesy Galerie nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder, Wien, © Katharina Grosse und VG Bild-Kunst Bonn, 2022, Foto: Jens Ziehe
Katharina Grosse, ohne Titel signieren 2020, Courtesy Galerie nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder, Wien, © Katharina Grosse und VG Bild-Kunst Bonn, 2022, Foto: Jens Ziehe

Dass es Spaß machen muss, Leinwände, Gegenstände, Räume mit der Spritzpistole zu bearbeiten, leuchtet augenblicklich ein. Aber auch, welcher großen Erfahrung es bedarf, um ein strähniges Geflecht von Farbspuren so anzulegen, dass die metallisch kalten Farben sich nicht gegenseitig nivellieren, sondern herausfordernd leuchten und für das Auge neue Wege und Richtungen eröffnen. Wer begehbare Farbräume von Katharina Grosse erlebt hat, weiß, dass diese Künstlerin die Kategorie „Bild“ sehr umfassend definiert: Alles kann Bild werden, jeder Teil der Wirklichkeit, jede Konstellation des Raums, jede Form von Architektur oder menschlicher Tätigkeitsspur. Jetzt also acht Leinwandbilder in einem einzigen Ausstellungsraum, das größte davon misst drei mal zwei Meter. Ist das nun ein Rückzug der Malerin von der großen Geste, verursacht durch die Immobilität der Corona-Zeit? Denn alle diese Bilder sind in den Jahren 2020/21 entstanden, im Außenbereich des Ateliers der Künstlerin in Neuseeland, ihrem zweiten Wohnort.     

Zweige und Äste, die in die Leinwände hineingepflanzt sind oder aus ihnen herausragen wie neugierige Antennen oder tastende Tentakeln, machen die Bilder dreidimensional und irgendwie störrisch. Genau das scheint die Künstlerin gewollt zu haben: „Das ist ein Gebüsch, was ich gefunden habe in der Nähe meines Hauses, und da sind die Äste oben im Auslauf unheimlich fein verzahnt. Das ist eine unglaublich feine Struktur, die dazu führt, dass die Farbe, die ich da drauf spraye, zerstäubt wird, noch einmal. So dass das Spraybild in sehr komplexer Weise umgeleitet wird in andere Richtung, und das hat mir total gefallen“. 

Die Integration von Ästen des sogenannten Manuka-Strauchs in die Bilder hat vermutlich wenig mit Naturphilosophie zu tun oder irgendwelchen Heilserwartungen. Im Gegenteil wirken die besprayten Äste in hohem Maße künstlich, wie Objekte einer Bemächtigung, die vor nichts halt macht. Dazu Katharina Grosse: „Für mich sind diese drei Elemente – die Leinwand, der Ast und die Spraypistole – drei verschiedene Spieler oder Zutaten, die alle Dinge sagen und zeigen und meinen, die das andere Element nicht hat. Die Leinwand ist ganz neutral im ersten Moment, ist so etwas wie eine konventionelle Oberfläche für Malerei. Der Ast hat damit überhaupt nichts zu tun, der kommt aus einer ganz, ganz anderen Welt. Die Leinwand kann ad hoc, unzeitlich sozusagen, aufgespannt werden, und die Spraypistole ist ein Werkzeug aus der Industrielackiererei, aus dem Industriellen, aus der Welt, die effizient sein will, große Flächen schnell anstreichen will. Und diese drei Elemente sind Gegensätze, die schließen sich aus“.

Dass Katharina Grosse das Spannungsfeld dieser Gegensätze auszuloten versteht, zeigt diese Ausstellung in der Modernen Galerie des Saarlandmuseums. Und man kann sich gut vorstellen, wie diese im Freiluftatelier gespritzten Bilder vor vermutlich grandioser neuseeländischer Landschaft gewirkt haben müssen. Aber diese Bilder im White Cube eines Museumsraums auszustellen – das ist etwas anderes. Denn da schwingt die ganze Geschichte des zeitgenössischen Ikonoklasmus mit, die spätestens seit den 1960er Jahren voller Attacken auf die Leinwand und den Begriff des Bildes ist. Da wurden Leinwände durchstochen, verbrannt, geschlitzt, durch den Straßendreck gezogen, um Bäume und Äste gewickelt und – pardon – bepisst. Man klebte Kaviareier oder Ziegelsteine darauf. Yoko Ono schlug vor, Bilder zu zerschneiden und sie dem Wind zu überlassen, Niki de Saint Phalle schoss auf Leinwände und brachte dabei eingenähte Farbbeutel zum Platzen, Helen Frankenthaler breitete sie auf dem Boden aus, um dann Farbe darauf zu träufeln und die Bildwirkung dem Trocknungszufall zu überlassen. So kann man von heute aus gesehen an den grenzüberschreitenden Aufbruch, den Farbpistole, Ast und Leinwand hier leisten sollen, schwerlich glauben. Es sei denn, man hätte das erstaunliche Privileg, von der Geschichte der Malerei nicht wirklich tangiert zu sein. Sozusagen in einem Neuseeland des zeitgenössischen Bildes zu leben.