LuYang & Neil Beloufa: Kosmos und Fabel

Neïl Beloufa, La morale de l’histoire, 2019, Installationsansicht Art Basel Miami, 2019, © VG Bild-Kunst, Bonn 2022
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3. Mai 2022
Text: Christine Weirauch

Neil Beloufa, La morale de l’histoire. Bis 29. Mai 2022.
Lu Yang, False Awakening. Bis 19. Juni 2022.
Kunstpalais Erlangen, Marktplatz 1, Erlangen.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Mittwoch 10.00 bis 20.00 Uhr.
www.kunstpalais.de

LuYang, The Great Adventure of Material World game film, 2019, Videostill, © LuYang

Im Kunstpalais Erlangen hängen derzeit vor allem große Monitore an den Wänden oder stehen frei im Raum, an Stangen befestigt, wie bewegliche Skulpturen, davor liegen Tastaturen oder Controller. Das klingt nicht nur nach Computerspiel, es schaut auch aus wie ein Computerspiel und ist doch viel mehr. Der in Shanghai geborene chinesische Künstler LuYang (*1985) schafft Kunst im digitalen Raum. Stolze Krieger blicken einen da an, gekleidet in bunten, engen Anzügen, wie man sie von den asiatischen Manga-Comics kennt. Der Held muss sich mit Hilfe eines magischen Schwerts durch verschiedene Welten kämpfen. LuYangs Arbeiten sind dabei voller Zitate, erklärt Malte Lin-Kröger, Kurator der Ausstellung: „Lu­Yang verbindet diese Computerspielinhalte mit religiösen Inhalten. Der Buddhismus ist da maßgeblich. Diese Arbeit weist sehr viele Referenzen auf zum so genannten Diamant-Sutra, einem der Grundlagentexte des Buddhismus.“ Das Diamant-Sutra gilt als ältestes Buchdruckerzeugnis der Menschheitsgeschichte und wurde 868 n.Chr. in Tibet als Holztafeldruck hergestellt – also fast 600 Jahre vor der Gutenberg-Bibel. Die verschiedenen Computerlevel stehen für Lu­Yang als Kreislauf der Wiedergeburt. Ein Held, ein Avatar, taucht immer wieder auf. LuYang nennt ihn Doku, erzählt Malte Lin-Kröger: „Das ist eine Figur, die LuYang erst letztes Jahr angefangen hat zu produzieren und die er als seine digitale Reinkarnation bezeichnet.“

Doku ist eine androgyne Gestalt, denn Kategorien wie männlich oder weiblich gibt es bei LuYang nicht. LuYang wurde als Frau geboren, verwendet aber die männliche Anrede für sich und bezeichnet sich selbst als nicht-binär. Mit seinen Videoarbeiten durchbricht er gewohnte Denkkategorien, das macht LuYang in der aktuellen Genderdebatte besonders interessant. In diesem Jahr wurde der Künstler zur Biennale nach Venedig eingeladen. „False Awakening“ – also das falsche Erwachen – ist eine rasante Ausstellung, die Besucher*innen mitnimmt in die bunte Welt der Gaming-Kultur und viele spannende Entdeckungen bereithält, wenn man sich einmal darauf einlässt.

Ein Kamel, das nicht mehr arbeiten kann – so beginnt die Fabel von Neïl Beloufa (*1985) – und nachdem die Besucher*innen aus der schnellen und futuristischen Welt des LuYang kommen, tauchen sie bei dem französisch-algerischen Künstler in einen viel langsameren Kosmos ein. „Die Moral von der Geschichte“ heißt seine Ausstellung und spielt an Hand der Fabel eine Kette von immer schlimmer werdenden Ereignissen durch, erklärt Amely Deiss, Leiterin des Erlanger Kunstpalais: „Neïl Beloufa spinnt ein Thema immer weiter und benutzt verschiedene Lagen – fast so wie, wenn man zu einem Thema recherchiert und am Computer immer mehr Fenster öffnet. Da kommen immer unterschiedlichere Themen zusammen, die dann ineinander fließen und sich dicht verweben.“

Die Fabel des alten Kamels erzählt Neïl Beloufa auf großen Aluminum-Reliefs, die zur Stimme des Erzählers unterschiedlich beleuchtet werden. Im nächsten Raum stoßen die Besucher*innen auf große sandfarbene Sitzgelegenheiten, die Wüstendünen oder Kamelhöckern ähneln. Hinsetzen ist ausdrücklich erlaubt, denn Beloufa schafft seine Kunst mit einem humorvollen Augenzwinkern und packt darin seine Kapitalismuskritik ein.