Georgia O’Keeffe: Weites Land

Georgia O’Keeffe, Black Mesa Landscape, New Mexico / Out Back of Marie’s II, 1930, © Georgia O’Keeffe Museum / 2021, ProLitteris, Zurich, Foto: John R. Glembin
Review > Basel > Fondation Beyeler
7. März 2022
Text: Iris Kretzschmar

Georgia O’Keeffe.
Fondation Beyeler, Baselstr. 101, Basel-Riehen.
Montag bis Sonntag von 10.00 bis 18.00 Uhr, Mittwoch 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 22. Mai 2022.
www.beyeler.com

Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen: Hatje Cantz Verlag, Berlin 2022, 208 S., 58 Euro | ca. 79.90 Franken.

Georgia O’Keeffe, Patio with Cloud, 1956, Milwaukee Art Museum, © Georgia O’Keeffe Museum / 2021, ProLitteris, Zurich, Foto: John R. Glembin
Georgia O’Keeffe, Jack-in-the-Pulpit No. IV, 1930, National Gallery of Art, Washington, D. C., © Board of Trustees, National Gallery of Art, Washington, 2021, ProLitteris, Zurich, Foto: John R. Glembin

Geboren als Tochter einer Auswandererfamilie wächst Georgia O’Keeffe (1887-1986) zusammen mit sechs Geschwistern auf einer Milchfarm in Wisconsin auf. Mit 18 studiert sie Kunst in Chicago und später in New York. Aktzeichnungen von Rodin leiten ein künstlerisches Umdenken ein. Unter dem Einfluss der übersetzten Schriften von Kandinsky und den Lehren des Malers und Theoretikers A. W. Dow entstehen erste von der Natur inspirierte Abstraktionen. Die „Specials“, eine Gruppe von Kohlezeichnungen, werden in einer ersten Ausstellung in New York gezeigt. Hier lernt O’Keeffe den wesentlich älteren Galeristen und Fotografen Alfred Stieglitz (1864-1946) kennen. Er führt die Galerie 291 und zeigt europäische und amerikanische Avantgarde. Er wird zu ihrem Förderer, sie seine Muse und spätere Ehefrau.

Stieglitz fotografiert O’Keeffe – eine intime Serie von ästhetischen Akten und Porträts entsteht. Zusammen mit gemalten Blüten von ihr stellt er die Lichtbilder aus und provoziert damit einen kleinen Skandal. Die Presse diskutiert die aufsehenerregende Schau unter dem Einfluss der Freud‘schen Lehren. Man schreibt vom „Ausdruck dessen (…), was jede Frau weiss, was aber Frauen bisher für sich behalten haben“. Gegen den Willen der Künstlerin werden die Bilder als erotisch-weibliche Signale gedeutet. Die Künstlerin ist schockiert, wehrt sich dezidiert: „was Sie von dieser Blume denken und was Sie darin erkennen – das tue ich nicht.“ Auch die Vereinnahmung ihres Werks von feministischer Seite lehnt sie ab.

Ohne Zweifel sind ihre Blüten verführerisch. Weiche Hüllblätter locken mit schwellenden Formen, geben tiefe Einblicke, Staubgefässe wölben sich dem Auge entgegen. Doch die Pflanzenanatomien verströmen nicht nur Sinnlichkeit, sie geben sich auch fern und unnahbar. Ausschlaggebend ist die abstrahierende Bildsprache, angelehnt an die Straight Photography, die O’Keeffe schätzte. Ihre Kompositionen sind sorgfältig geplant, die im Close-up verfremdeten Blüten wie unter der Lupe gesehen, die Formen stilisiert, Räumlichkeit, Stofflichkeit und Oberflächenreize zurückhaltend eingesetzt. Alles ist in einer kaum sichtbaren, unaufdringlichen Pinselsprache gemalt.

Nach dem Tode von Stieglitz zieht O’Keeffe nach New Mexiko und lebt dort im Einklang mit der kargen Natur. Bei ausgedehnten Spaziergängen sammelt sie Knochen, Steine, Rasseln von Klapperschlangen. Sie liebt das Land, das sie malt: „Diese Hügel sehen so weich aus. So gute Erde. Manchmal wollte ich einfach meine Kleider ausziehen und mich an diese Hügel lehnen.“ Einer ihrer Lieblingsplätze ist „Black Place“, eine Formation mit grauen und schwarzen Felsschichtungen. Sie malt deren Wellen, Spalten und Ausstülpungen so, dass sie Körperhaftes evozieren und gleichzeitig entpersönlicht sind. Ihres Stellenwertes in der amerikanischen Moderne ist sie sich bewusst: „Ich denke, was ich gemacht habe, ist etwas ziemlich Einzigartiges in meiner Zeit, und ich bin wahrscheinlich eine der Wenigen, die unserem Land überhaupt eine eigene Stimme verleihen.“

Im Spätwerk werden Haus, Himmel und Erde auf das Elementarste reduziert. Flussläufe durchwandern als elegante Arabeske den Bildgrund. „Wenn ich an den Tod denke, dann bedaure ich nur, dass ich dieses schöne Land nicht mehr werde sehen können, es sei denn, die Indianer haben recht, und mein Geist wandert hier umher, nachdem ich gegangen bin.“ Sie stirbt mit 98. Ihre Asche, auf ihrem Hausberg Cerro Pedernal verstreut, vereint mit dem geliebten Land.