Boris Rebetez: Photo collages.
Mark Pezinger Verlag, Wien 2021, 176 S., Text von Raphael Pirenne, engl./franz., Buchgestaltung: Astrid Seme, 32 Euro.
www.markpezinger.de
www.borisrebetez.net
Eine Auswahl der „Photo Collages“ von Boris Rebetez ist derzeit zu sehen in der Ausstellung:
Tiefenschärfe – Zwischen List, Lust und Schrecken.
Kunstmuseum Solothurn, Werkhofstr. 30, Solothurn.
Dienstag bis Freitag 11.00 bis 17.00 Uhr, Samstag bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 24. April 2022
www.kunstmuseum-so.ch
Ein Auto rauscht ins Tal, die Straße ist frisch geteert, tiefschwarz verliert sich das Band in der Ferne. Daneben reihen sich Felder an Felder und Wiesen an Äcker, Waldstücke fließen in vagem Blau ins Bild – bis die Hügel weit am Horizont an den milchigen Himmel stoßen. Dass diese Landschaft, grob gerastert wie eine Farbpostkarte aus den 1960er Jahren, in Wirklichkeit aus zwei Landschaften besteht, ist auf den ersten Blick kaum zu erkennen. Zumindest nicht in der Reproduktion dieser Collage in dem schön gestalteten Band „Photo collages“ von Boris Rebetez (*1970). Es ist die früheste Arbeit aus der umfangreichen Werkgruppe, die der in Basel lebende Künstler 1996 begann und die bis heute seine installative, bildhauerische und zeichnerische Arbeit als andauernder Bilderstrom begleitet. Der Idee der maximalen Reduktion auf bestenfalls einen einzigen Schnitt, manchmal auch auf zwei oder drei Cuts, ist er dabei treu geblieben. Im Fall der eingangs erwähnten Landschaft geht dieser fast verloren entlang einer Allee, die als Horizontale den Bildraum quert.
Die „Photo collages“ von Boris Rebetez – eine Auswahl ist derzeit übrigens im Rahmen der Ausstellung „Tiefenschärfe“ im Kunstmuseum Solothurn zu sehen –, handeln zunächst von der Repräsentation des Raumes in der Fotografie. Sein Material sind gefundene Bilder aus Zeitschriften, Broschüren und Büchern, Postkarten und Werbeprospekten. Meist sind es Landschaftsaufnahmen oder Städtebilder, aber auch Architekturansichten und Details von Innenräumen, Parkplätzen, Möbeln, seltener von Personen, die dann zu Farbträgern werden, wenn das Rot eines Pullovers oder das Purpur einer Hose gut zu den erdigen Tönen der Landschaft passt, die Rebetez als Pendant ausgewählt hat, um beide Bildfragmente schließlich zu einer neuen Illusion von Raum zu verkleben.
Mittlerweile hat Rebetez das Messer Hunderte Male angesetzt, nahezu ausschließlich horizontal, und immer in einem geraden Schnitt, an dem die Bilder, die er zusammenbringt, eine oder zwei Perspektiven teilen, eine bestimmte Atmosphäre, eine Lichtstimmung – oder aber eine plausible Trennung vortäuschen, von Himmel und Erde etwa, Wasser und Land, Straße und Grasnarbe. Indem Rebetez hier zusammenbringt, was scheinbar nicht zusammengehört, kreiert er etwas Drittes, das auf den ersten Blick allen Gesetzen der Wahrscheinlichkeit zu gehorchen scheint, tatsächlich aber eine Fiktion mit Sollbruchstellen ist. Auf ebenso subtile wie zwingende Weise führen diese Collagen vor, dass die Welt, wie wir sie sehen möchten – überschaubar, einleuchtend, verständlich –, tatsächlich durchzogen ist von unzähligen Rissen, Schnitten, Brüchen und Falten.
Passend zum Konzept der Collage montiert der belgische Kunsthistoriker Raphael Pirenne in seinem Katalogbeitrag disparate Überlegungen zu Rebetez zu einer losen Gedankensammlung, deren einzelnen Teile sich gegenseitig befruchten sollen. Sie richten ihren Blick auf bestimmte Aspekte in Rebetez’ Papierarbeiten – auf das „Inventar“ der Landschaftsperspektiven mit ihren wiederkehrenden Mustern und Topografien oder auf die „Schatten der Technologie“, auf das „Bild als Klassenkampf“ oder die Frage von „Schichtung und Koexistenz“. Pirenne schließt seine assoziative Annäherung mit einem Verweis auf den indischen Kultur- und Postkolonialismus-Theoretiker Homi K. Bhabha. Der brachte in den 1990er Jahren den Begriff der „Hybridität“ in die kulturwissenschaftliche Diskussion – und die Vorstellung des „Third Space“ als die eines Raumes zwischen festen Identitätszuschreibungen, der kulturelle Durchlässigkeit ermöglicht. Die Collagen von Boris Rebetez in diesem Kontext zu lesen – als Möglichkeitsräume, die sich zwischen den hart aneinander geschnittenen Bildhälften auftun –, lässt sie als visuelle Haikus über die Natur der Differenz erscheinen.