Paddy Hartley, The Cost of Life: Leben erhalten

Installationsansicht der Ausstellung „The Cost of Life. A perspective on health by Paddy Hartley“, © 2021, Museum Tinguely, Foto: Daniel Spehr
Review > Basel > Museum Tinguely
21. Dezember 2021
Text: Annette Hoffmann

Paddy Hartley, The Cost of Life.
Museum Tinguely, Paul-Sacher-Anlage 1, Basel.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 23. Januar 2022.
www.tinguely.ch

Im Film, der Einblick in das Arbeiten des britischen Keramikers Paddy Hartley gibt, streichelt dieser in einer kurzen Sequenz seine Katze. Hartley umfasst ihren Kopf und streicht mit seinen Händen die Wangen entlang. Es sieht aus als wollte er das Tier, das ihm in seiner Werkstatt Gesellschaft leistet, nachformen. Nicht zuletzt kennt ja das Christentum die schöpferische Kraft, die von einem Klumpen Erde und einem Paar geschickter Hände ausgeht. Ohne Ton keine Menschheit. Und so geht auch Hartleys Einzelschau anlässlich des 125-jährigen Bestehens der Roche aufs Ganze. Der Ausstellungstitel „The Cost of Life“ meint weniger die konkreten Lebenshaltungskosten, sondern was es uns kostet, Leben zu erhalten und was wir als Gesellschaft hierfür in Kauf nehmen. „The Infinity Balance“ bezieht sich darauf, was es heißt, wenn immer weniger Junge für eine alternde Gemeinschaft aufkommen müssen.

Wer sich mit Gesundheit befasst, mit Prothesen und der Rekonstruktion von Körpern, setzt sich auch mit der Pandemie auseinander. Auf einem kreisförmigen Sockel empfangen eine Reihe von Gefäßen die Besucherinnen und Besucher im Museum Tinguely. Die Glasur ist von gedeckten Farben und tatsächlich geht hier alles zurück zur Erde. Die Objekte sind Urnen, einige von ihnen sind mit Spritzennadeln gespickt, so dass man sie kaum anfassen könnte. Der Tod will hier offensichtlich nicht umarmt werden. Eine weitere Arbeit greift die Schlangen des antiken Äskulapstabes auf, sie winden sich auf einer Platte, anstelle von Zungen tragen auch sie Kanülen.

Der Titel „HypoTrypanoPharmAlethephobia or: The Frustration of the Virologist“ spielt auf Ängste an, auf die Hypochondrie, aber auch auf die Angst vor Spritzen, der Einnahme von Medikamenten und der Wahrheit überhaupt. Laut Saaltext würdigt die Keramikskulptur die Leistung der pharmazeutischen Forschung, die in so kurzer Zeit einen Impfstoff entwickelte, der nun von derart vielen Menschen abgelehnt wird. Hartley scheint eine ambivalente Faszination für die Rekonstruktion verlorener Körperteile zu haben, für den Arzt als Homo Faber. Mehrere Jahre befasste er sich ausgehend von Schicksal des ehemaligen Soldaten William Vicarage, der im Ersten Weltkrieg gravierende Verbrennung erlitt und sich plastischen chirurgischen Eingriffen unterziehen musste. Hartley hat in Folge Ledermasken und Gesichtskorsetts entwickelt, die Fetisch, Hilfsmittel und Skulptur zugleich sind. In Basel erinnern weiße Porzellanhände, die in Handschuhstulpen auslaufen an den britischen Soldaten, der seinen Beruf als Uhrmacher nicht mehr ausüben konnte. Hartley führt vor, dass die Kenntnisse, die sich Chirurgen in den Weltkriegen erwarben, in das Gebiet der Schönheitsoperation mündeten. Andere Auswüchse zeigen die Ketten, die aus Prozac- und Viagrapillen aus Keramik aufgefädelt sind.