Here we are!: Nicht die andere Seite der Welt

GMs „Damsels of Design“: S. Vanderbilt, R. Glennie, M. Ford Pohlman, H. Earl, J. Linder, S. Logyear, P. Sauer, 1955, Courtesy General Motors Design Archive & Special Collections
Review > Weil > Vitra Design Museum
17. Dezember 2021
Text: Annette Hoffmann

Here we are! Frauen im Design 1900 bis heute.
Vitra Design Museum, Charles-Eames-Str. 2, Weil a.R.
Montag bis Sonntag 12.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 6. März 2022.
www.design-museum.de

Greta von Nessen, Schreibtischlampe Anywhere, 1952, © Vitra Design Museum, Foto: Andreas Jung
Louise Brigham, Box Furniture, 1919
Galina Balaschowa, Skizze des orbitalen (Wohn-)Abteils des Sojus-Raumschiffs. Variante 1, 1963, © Kosmonautenmuseum, Moskau
Charlotte Perriand auf der Chaise longue basculante, 1929, Perriand und Jeanneret© VG Bild-Kunst. Bonn 2021, Le Corbusier: F.L.C./ VG Bild-Kunst, Bonn 2021

Wenn Männer vom Mars und Frauen von der Venus wären, hätte Galina Balaschowa sie jedenfalls bequem zur Erde gebracht. Zwischen 1963 und 1991 arbeitete sie für das russische Luftfahrtprogramm und entwarf unter anderem die Inneneinrichtung für die Raumstationen MIR und Saljut. Gut möglich, dass im Westen eine derart prestigeträchtige Stelle nicht mit einer Frau besetzt worden wäre. In einem Film über die „Damsels in Design“ bei General Motors im Jahr 1955 berichtet die männliche Erzählerstimme von den Neuerungen der Designerinnen, die für Schirmfächer und weiche Materialien gesorgt hatten, damit die Nylons nicht reißen. Süffisant bemerkt er am Ende, dass die Autos auch Männern gefallen müssten, schließlich zahlten diese ja gewöhnlich die Rechnung. Die von Harley Earl, der bei GM das Design verantwortete, sah anders aus, er reagierte auf die zunehmende Kaufkraft von Frauen. Die zehn Designerinnen, die für GM arbeiteten – zu ihnen zählten Suzanne E. Vanderbilt und Jeannette Linder – ließen Diktiergeräte einbauen und einen Sicherheitsgurt. Earls Nachfolger stellte das Programm ein, die Anzahl der Designerinnen stagnierte die kommenden Jahre.

Es brauchte sicherlich anfangs das Selbstbewusstsein, das sich im Ausstellungstitel „Here we are! Frauen im Design 1900 bis heute“ ausdrückt. Doch die Schau des Vitra Design Museums zeigt: Je größer die Teilhabe, desto selbstverständlicher arbeiten Designerinnen an Formlösungen für gesellschaftliche Probleme. Und so fängt im Design Museum alles an beim Frauenwahlrecht, dem Kampf der Suffragetten und der unterschiedlichen Geschwindigkeit, mit der das demokratische Recht eingelöst wird. Dabei war es für Frauen erst einmal naheliegend, Dinge zu gestalten. Gehörten diese doch vermeintlich zu ihrer Sphäre. Was wie ein Rückzug wirkte, hatte Emanzipationspotential und bot die Gelegenheit, den Alltag von vielen zu verbessern. Die Amerikanerin Louise Brigham etwa verfolgte bereits Anfang des 20. Jahrhunderts die Idee des Upcyclings, so zeigte sie auf, wie aus Transportkisten Box-Furniture gebastelt werden konnte, die sich auch die vielen Einwanderer leisten konnten. Um 1900 stand Design zwischen den Polen Industrialisierung und der Arts and Crafts Bewegung. Das Vitra Design Museum hat für diese Ausstellung seine Archive durchforstet. Und so ist sie nicht nur mit vielen Broschüren, Magazinen und Fotos bestückt, ganz selbstverständlich haben sie dabei Möbel von Eileen Grey und Charlotte Perriand gefunden, weil diese Designerinnen so gut wie ihre Kollegen waren. Und manchmal machen Designerinnen sogar die gleichen Fehler wie Männer: Else Wenz-Viëtor, die Mitarbeiterin der Deutschen Werkstätten war, engagierte sich wie ihr Gatte für den Nationalsozialismus.

Oft kam es zu besonderen Synergien. Aino Aalto etwa, die Architektur studiert hatte und mit dem Designer und Architekten Alvar Aalto verheiratet war, schuf Glasgeschirr und Lampen und war Mitbegründerin der Marke Artek, deren Ästhetik sie mitprägte. Und Florence Knoll wurde durch ihren Ziehvater Eliel Saarinen in die Welt des Designs und der Architektur eingeführt bevor sie in London studierte und später im Unternehmen von Hans Knoll arbeiten sollte, den sie 1946 heirate. Sie führte das Unternehmen, das nicht nur Entwürfe viele Bauhaus-Künstler vermarktete, sondern auch ihre eigenen, bis 1965. Insofern galt das Diktum der Guerrilla Girls „Not having to be in shows with men“, das man in Weil lesen kann, nur bedingt. Aber es ist wohl auch kein Zufall, dass es doch eher die großen bekannten Namen sind, auf deren Werke man hier stößt. Je näher man der Gegenwart kommt, desto offensichtlicher ist, dass Männer und Frauen vom gleichen Planeten kommen. Das Thema der Nachhaltigkeit wird wichtiger. Julia Lohmann hat 2013 das „Department of Seaweed“ gegründet, das Wissen über Algen teilt. Für Lohmann sind diese ein Material, das formbar ist und zugleich flexibel und durchsichtig. Schönes Design schafft Kaufanreize für ein besseres Leben, wie dies aussieht, ist immer auch eine Frage der Zeit.