Andrea Fraser, This meeting is being recorded: Wir sind alle gemeint

Andrea Fraser, This meeting is being recorded, 2021, Installationsansichten im Künstlerhaus Stuttgart, 2021, Courtesy the artist & Künstlerhaus Stuttgart, Fotos: Frank Kleinbach
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13. Dezember 2021
Text: Jolanda Bozzetti

Andrea Fraser. This meeting is being recorded.
Künstlerhaus Stuttgart, Reuchlinstr. 4b, Stuttgart.
Mittwoch bis Sonntag 12.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 27. Februar 2022.
www.kuenstlerhaus.de

Andrea Fraser, This meeting is being recorded, 2021, Installationsansichten im Künstlerhaus Stuttgart, 2021, Courtesy the artist & Künstlerhaus Stuttgart, Fotos: Frank Kleinbach
Andrea Fraser, This meeting is being recorded, 2021, Installationsansichten im Künstlerhaus Stuttgart, 2021, Courtesy the artist & Künstlerhaus Stuttgart, Fotos: Frank Kleinbach

In der Rolle der Dozentin Jane Castelton führte 1989 die junge Andrea Fraser (*1965) durch das Philadelphia Museum of Art. „Museum Highlights: A Gallery Talk“ hieß diese als Video dokumentierte Performance, welche die US-Amerikanerin Fraser noch heute als grundlegend für ihr gesamtes Werk bezeichnet und die eine ikonische Arbeit der institutionskritischen Kunst darstellt. Mit emphatischer Sprache und durchaus humorvoll hinterfragt sie in ihrer Führung das Museum als Institution und dessen historisches Selbstverständnis. In späteren Arbeiten, etwa „Official Welcome“ (2003), macht sie Politiken und Umgangsformen der Kunstwelt zum Thema und schlüpft auch hierfür als Performerin in die verschiedenen Rollen der Künstler:innen, Kurator:innen und Galerist:innen. Seit Mitte der 2000er Jahre befasst sich Fraser vermehrt mit psychologischen und soziopolitischen Dynamiken des privaten, zwischenmenschlichen Raums. Fragen zu Geschlechterverhältnissen, klassistischen und rassistischen Strukturen in der Gesellschaft werden Themen ihrer Kunst. Das Künstlerhaus Stuttgart zeigt nun drei dieser neueren Arbeiten, darunter „This meeting is being recorded“ (2021), die der Ausstellung ihren Titel gibt und hier Premiere feiert. Wenn auch nicht als geschlossene Trilogie konzipiert, weisen sie formale und methodische Parallelen auf. Alle drei Videoinstallationen beruhen auf Performances, vor schwarzem Hintergrund aufgenommen und in Lebensgröße in einem geschlossenen Raum projiziert. Die Künstlerin performt direkt in die Kamera, adressiert so die Betrachtenden als ihr Gegenüber auf Augenhöhe. Die Performances basieren auf tatsächlich stattgefundeenn Gesprächen.

Das Skript zu „Projection“ (2008) verfasste Fraser aus Aufzeichnungen eigener Psychotherapiesitzungen. Es entstanden zwei monologische Texte, die sich in der Installation auf gegenüberstehenden Screens aufteilen. Abwechselnd ist die Künstlerin als Patientin und als Therapeutin zu sehen, wobei einzig Ausdrucksweise und Körpersprache den Rollenwechsel anzeigen. Die Betrachter:innen, in der Mitte sitzend, wechseln mit der Künstlerin jeweils die Seite und werden so selbst zur Projektionsfläche der angesprochenen Gefühle von Scham, Angst, Zweifel oder von Wünschen. Ausgangspunkt der Arbeit „Men on the Line“ (2012/2014) war eine live im Radio stattfindende Consciousness-Raising-Sitzung von 1972, in der vier Männer ihr Engagement für Feminismus diskutierten. Auch hieraus entwickelte Fraser ein Skript, das sie als Live-Performance, bei der sie alle vier Männer darstellt, auf die Bühne brachte. Als Zuschauer:in staunt man über Frasers schauspielerisches Talent, mit dem sie ihre zierlichen Frauenhände in protzende Pranken verwandelt, das männliche Machtgehabe ausstellend, faszinierend und abstoßend zugleich. In „This meeting is being recorded“ schließlich untersucht Andrea Fraser rassistische (Denk-)Strukturen und weiße Vorherrschaft in der US-amerikanischen Gesellschaft – ein Thema, das spätestens seit dem Mord an George Floyd neue Brisanz erfahren hat. Mit einer Gruppe von sieben sich selbst als weiß identifizierenden Frauen unterschiedlichen Alters organisierte Fraser sechs 90-minütige Zoom-Meetings, an denen sie selbst als Diskutantin teilnahm. In schonungslosen Gesprächen ergründeten die Frauen „unbewusste Kräfte und Fantasien“, die einen zunächst vielleicht verborgenen „internen Rassismus untermauern und dadurch zu systematischem Rassismus beitragen“, so Fraser. Die Stärke dieser Arbeit liegt nicht zuletzt in der Entscheidung, diese Fragen ausschließlich aus Sicht weißer Frauen zu diskutieren. Die von dem Rassismus betroffenen People of Color werden so, Zitat Fraser, „von der häufig re-traumatisierenden Aufgabe, weiße Menschen aufzuklären“ entbunden. Die Äußerungen der Frauen sind teilweise schwer auszuhalten und provozieren auch heftige Reaktionen. Eine Teilnehmerin verlässt irgendwann den Raum. Als Betrachter:in sitzt man mitten in der Runde und befindet sich unweigerlich auch mitten im Diskurs. Eine intellektuell begründbare Distanz zu diesen Themen ist kaum herzustellen. Fraser zeigt uns unverblümt, dass jede:r Einzelne sich befragen muss und eine Nicht-Positionierung schlicht nicht möglich ist.