Close-up: Das andere Geschlecht

Cindy Sherman, Untiteld, 1982, Louisiana Museum of Modern Art, © 2021 Cindy Sherman
Review > Basel > Fondation Beyeler
11. Dezember 2021
Text: Annette Hoffmann

Close-up.Fondation Beyeler, Baselstr. 101, Basel-Riehen.
Montag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Mittwoch 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 2. Januar 2022.
www.beyeler.com
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen:Hatje Cantz Verlag, Berlin 2021, 344 S., 54 Euro | ca. 77.90 Franken.

Lotte Laserstein, Ich und mein Modell, 1929/30, Privatsammlung, © 2021, ProLitteris, Zürich
Alice Neel, Hartley On The Rocking Horse, 1943, © The Estate of Alice Neel, Zürich
Frida Kahlo, Autorretrato con traje de terciopelo, 1926, Privatsammlung © Banco de México, 2021, ProLitteris, Zürich

Camille Claudel bei der Arbeit: „Sculpting“, wie Elizabeth Peyton sagen würde. Die Bildhauerin steht links von einem lebensgroßen Frauenkörper, den sie modelliert. Die Vorlage von Peytons Bild aus dem Jahr 2010 ist eine Fotografie von William Elborne, der Claudel mit ihrer Atelierkollegin Jessie Lipscomb aufgenommen hatte. Peyton (*1965) hat Lipscomb einfach weggeschnitten und konzentriert sich in ihrer Darstellung ganz auf Claudel. Es ist ein bisschen so, als ob sie den Mythos von Pygmalion, der seinem eigenen Werk Leben einhaucht, neu erzählt und auch die Geschichte von der tragischen Künstlerin anklingen lässt, zerrissen zwischen der Liebe zu Rodin und den eigenen künstlerischen Ansprüchen. Ähnliches dräute Frauen, wenn sie sich in der Vergangenheit auf den Weg machten, Künstlerin zu werden, so war die gängige Meinung.

Nach „Resonating Spaces“ 2019 ist „Close-up“ bereits die zweite von Theodora Vischer kuratierte Ausstellung in der Fondation Beyeler, die ausschließlich Arbeiten von Künstlerinnen zeigt, bis auf Cindy Sherman (*1954) widmet sie sich ganz der Malerei. Die neun Positionen reichen von Peyton, Marlene Dumas (*1953) und Cindy Sherman zurück zu Berthe Morisot (1841-1895), Mary Cassatt (1844-1926) sowie Paula Modersohn-Becker (1876-1907) und Frida Kahlo (1907-1954). Man kennt die dunkelhaarige Schöne Morisot, deren Gesicht aus den schwarzen repräsentativen Kleidungen leuchtet, von Bildern Edouard Manets, der sie mehrfach porträtierte. Einmal auch in einer Balkonszene, die Francisco de Goya nachempfunden ist, der in der Fondation Beyeler parallel gezeigt wird. Die beiden Ausstellungen sind ein Kontrastprogramm. Als Hofmaler, aber auch als Beobachter der grausamen Zeitläufte des späten 18. und des frühen 19. Jahrhundert, ist Goya nah dran an den Staatenlenkern und Strippenziehern sowie an den Gräueln seiner Zeit. Bei Morisot etwa geht es mehr um das Recht am eigenen Bild. Morisot stand Modell, doch eine Muse war sie nicht, Malerin schon, sie und Mary Cassatt beteiligten sich regelmäßig am Salon der Impressionismus. Auch dank eines Familienvermögens war sie unabhängig und musste nicht von der Kunst leben.

Und so weiß diese Nahaufnahme – wie sich der Titel übersetzen ließe – zwar von vielen existentiellen Nöten. Alice Neel (1900-1984) etwa schlug sich als allein erziehende Mutter in New York durch. Doch die Malerei ist Mittel und Raum der Selbstbehauptung. Die Künstlerinnen malten ihr Umfeld, ihre Familie, Freunde und Bekannte, aber der Wirkungskreis vergrößerte sich merklich. Dass Theodora Vischer Künstlerinnen in den Fokus rückt, die Porträts schufen, ist also kein rein formales Kriterium. Und auch Virginia Woolfs Forderung nach „a room of one‘s own“ wird in „Close-up“ konsequent eingelöst. Jeder der Künstlerinnen ist ein Raum gewidmet, so dass es nicht bei einem flüchtigen Blick auf das Werk bleibt.

Das emanzipatorische Potential der Malerei zeigt sich vielleicht am deutlichsten bei Lotte Laserstein (1898-1993), einer Vertreterin der Neuen Sachlichkeit. Sie malt den Lebensraum der neuen Frau. Sowohl auf dem Tennisplatz, wo sie ihr Modell Traute Rose platziert, die dem Schönheitsideal der schlanken, sportlichen Frau mit Bubikopf entspricht, als auch in ihrem Berliner Atelier, in dem sie zeitenthobene Momente der (Selbst-)Betrachtung inszeniert. Laserstein, die 1937 vor den Nationalsozialisten nach Schweden fliehen kann, spiegelt in ihren Bildern die neuen weiblichen Lebenswirklichkeiten und Freizeitvergnügungen und manifestiert sie. Doch dass das Porträt, insbesondere das Selbstporträt kein dokumentarisches Format ist, wird spätestens mit Cindy Sherman klar. Die Freude an der Mode, am Verkleiden wird hier zur ständig neuen, wandelbaren Identität und zum Selbstzweck, der weit entfernt von allen Festschreibungen ist.