Plant Fever: Pflanzen sind keine Objekte

Harpreet Sareen, in Zusammenarbeit mit Parsons School of Design NY, Elowan, 2018, Foto © Harpreet Sareen
Thema
9. Dezember 2021
Text: Dietrich Roeschmann

Plant Fever.
Museum für Gestaltung, Toni-Areal, Pfingstweidstr. 96, Zürich.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr, Mittwoch 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 3. April 2022.
www.plantfever.com
www.museum-gestaltung.ch

Liselore Frowijn, Silver coat made of the pineapple fibres leafs material Piñatex, 2018, © Olya Oleini
Goula/Figuera Studio, Viride (Detail), 2016, © Goula/Figuera Studio

Im Sommer 2007 zeigte das Zürcher Museum für Gestaltung die Ausstellung „Nature Design“. Blättert man heute durch den Katalog, begegnen einem dort Architekturen, die von der Statik von Grashalmen gelernt haben, Möbelentwürfe nach Vorlage tragfähiger Gitterstrukturen aus der Pflanzenwelt und aerodynamische Technoformen, inspiriert vom Look schlüpfrig-eleganter Meereswesen. Dass ein Schwerpunkt der Schau damals unter anderem dem Jugendstil gewidmet war, in dem Pflanzen und die eigenwillige Dynamik ihres Wachstums eine zentrale Rolle spielten, war kein Zufall: Die Ausstellung näherte sich ihrem Thema aus gestaltungs- und kunsthis­torischer Perspektive und interessierte sich neben den konstruktionstechnischen Aspekten des Verhältnisses von Natur und Design vor allem für die Bildwelten, die diese Begegnung inspirierte.

Knapp eineinhalb Jahrzehnte später hat sich der Fokus auf das Thema deutlich verschoben. Klimawandel, Pandemien und Artensterben führen uns drastisch unsere Abhängigkeit von den natürlichen Lebensgrundlagen vor Augen, die wir wider besseres Wissen und gegen jede Erfahrung zu kontrollieren glauben, tatsächlich aber mit unserem Handeln nachhaltig aufs Spiel setzen. Ian Baldwin, bis 2020 Leiter des Max-Planck-Instituts für Chemische Ökologie in Jena, rät deshalb: „Wir sollten versuchen, wie Pflanzen zu denken“ – nachhaltig, ganzheitlich, gemeinschaftlich. So könnten Pflanzen zu potenziellen Verbündeten werden bei der Bewältigung künftiger ökologischer und gesellschaftlicher Herausforderungen. Voraussetzung dafür ist, dass wir beginnen, unser Verhältnis zur Flora neu zu denken. „Pflanzen sind intelligente Lebewesen“, schreibt auch der Biologie Stefano Manusco in seinem Buch „Pflanzenrevolution“. „Wie wir haben sie die Fähigkeit, Probleme zu lösen, aber sie tun es auf ihre eigene Weise“. Was wir von ihnen lernen können, erkundet jetzt die vom Brüsseler Studio d-o-t-s konzipierte Ausstellung „Plant Fever“ auf dem Toni-Areal, die in rund 50 Exponaten eine Zukunft des Designs aus der Perspektive der Pflanzen skizzieren will. So entwickelt das Projekt Notweed Paper aus Ljubljana Methoden zur industriellen Papierherstellung aus dem japanischen Strauchknöterich, der sich als Neophyt derzeit rasant in Europa ausbreitet. Liselore Frowijn entwirft Kollektionen aus veganem Leder, das aus Zellulosefasern von Ananasblättern gewonnen und mittlerweile auch in der Autoindustrie verwendet wird, während der indisch-amerikanische Designer Harpreet Sareen einen pflanzenbasierten Roboter entwickelt hat, der sich per Lichtquelle steuern lässt. Was Projekte wie diese eint, ist der radikale Perspektivwechsel auf den Gestaltungsprozess. Das Manifest, das die Schau und den Katalog mit Beiträgen über Biomimikry, Ökofeminismus, Upcycling oder nachhaltige Materialforschung flankiert, bringt es auf den Punkt: „Pflanzen sind keine Objekte“, lautet der erste Satz. Und der letzte: „Let plants take the lead!“.