Der Apfel. Eine Einführung. (Immer und immer und immer wieder): Des Apfels Kern

Antje Majewski, Pommerscher Krummstiel, 2014, © Antje Majewski, 2021, ProLitteris, Zürich, Foto: Jens Ziehe
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8. November 2021
Text: Helen Lagger

Der Apfel. Eine Einführung. (Immer und immer und immer wieder).
Kunstmuseum Thun, Hofstettenstr. 14, Thun.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr, Mittwoch 10.00 bis 19.00 Uhr.
Bis 28. November 2021.
www.kunstmuseumthun.ch

Brigham Baker, Apple 2, 2021, Kunstsammlung Kanton Zürich, Courtesy the artist

Gesund soll er sein, die Eva verführt haben und nicht weit vom Stamm fallen: Der Apfel ist so symbolträchtig wie kaum eine andere Frucht. Im Kunstmuseum Thun erhält er mit der Schau „Der Apfel. Eine Einführung. (Immer und immer und immer wieder)“ nun besondere Aufmerksamkeit. Was es mit dem langen Titel auf sich hat, verrät die Künstlerin Antje Majewski (*1968) während eines Rundgangs. „Ich beschäftige mich seit 2014 mit dem Apfel“, erklärt sie. Das Kunstmuseum Thun sei die mittlerweile siebte Station ihres Projektes, an dem sie gemeinsam mit dem polnischen Konzeptkünstler Pawel Freisler (*1942) arbeitet. Er lebt in Schweden und kommuniziert mit Majewski via E-Mail. Als sie ihm vorschlug zusammenzuarbeiten, sagte er unter der Bedingung zu, dass es um Äpfel gehen müsse. „Für Freisler gehören Äpfel und Eier zusammen“, so Majewski. Die römische Wendung „ab ovo usque ad mala“ – „Vom Ei bis zum Apfel“, was „von Anfang bis Ende“ bedeutet – sei wichtig in seinem Werk. Freislers legendäres Ei aus Stahl (Stalowe jaja, 1967) wird als Kopie in der gemeinsamen Ausstellung in Thun zu sehen sein

Entstanden ist ein künstlerisches, wissenschaftliches, kulturhistorisches und politisches Projekt. Zu sehen sind Werke der Kunstschaffenden Brigham Baker, Jimmie Durham, Agnieszka Polska und Didier Rittener. Aber auch Stücke aus der Sammlung des Museums – etwa eine grimmig blickende Marktfrau von Klara Borter (1888–1948) – fanden Platz in der Ausstellung.

Im ersten Saal stösst man auf die grossformatigen Fotografien von Brigham Baker (*1989). Der Künstler lebt und arbeitet in Zürich. Dort hat er zwei Apfelbäume aus seinem Atelierfenster heraus fotografiert, entstanden ist die Serie „Apples“. Seine Äpfel dokumentieren den Lauf der Zeit: Es gibt pralle, verschrumpelte und faule Exemplare. Die unscharfen Aufnahmen lassen an abstrakte Malerei denken. Brigham Baker und Didier Rittener (*1969) wurden von Helen Hirsch, der Direktorin des Kunstmuseums Thun, eingeladen, um die Schau zu ergänzen. Der Beitrag Ritteners besteht unter anderem aus der grossformatigen Wandzeichnung „Les pommiers ou indécente forêt“ (2014–2016). Der komplexe, mit Bleistift auf Papier realisierte Wald ist ein Paradies ohne Menschen, als hätte die Wildnis Adam und Eva frühzeitig ausgespuckt.

Majewski selbst hat sich vielfältig dem Apfel gestellt. Kern der Schau ist ihre Malerei. Es sind Stillleben in Öl, auf denen sie neuere und ältere Apfelsorten, basierend auf Lebensmittelfotografien, auf die Leinwand gebannt hat. Darunter ist auch der erste genmanipulierte Apfel zu finden. In ihrem Film „Wilde Äpfel“ unternimmt die Künstlerin eine Fallstudie zu Biodiversität, ausserdem hat sie speziell für Thun ein Video über den lokalen Apfelspezialis­ten Schlotterbeck konzipiert. Wie bisher an allen Standorten des Projektes werden auch in Thun Apfelbäume gepflanzt. Man denkt an Joseph Beuys (1921–1986) und seine Aktion „7000 Eichen“, die 1982 auf der Documenta 7 in die Tat umgesetzt wurde.

Majewskis in symbolistischem Stil gemalte Eva zeigt eine füllige, verschmitzt blickende Frau, die einen Apfel hält. Modell stand eine befreundete Philosophin, die tatsächlich Eva heisst. „Sie braucht keinen Adam, denn es ist Eva, die nach dem Wissen verlangt“, so die Künstlerin. Diversität ist Majewski ein Anliegen. Die Einschränkung der Möglichkeiten durch eine Norm, sei immer ein Verlust. Ihr grossformatiges Porträt eines aufgeschnittenen Apfels, in dem Kerne schlummern, wirkt auf blauen Grund gemalt wie ein riesiger, mysteriöser Planet. Planet Apfel – diesen kann man in Thun nun ausgiebig erforschen.