Charlotte Prodger, Blanks and Preforms: Körper in Rahmen

Charlotte Prodger, Compression Fern Face, 2014, © Courtesy Hollybush Gardens and Kendell Koppe
Review > Winterthur > Kunst Museum Winterthur
2. November 2021
Text: Annette Hoffmann

Charlotte Prodger: Blanks and Preforms.
Kunst Museum Winterthur, Museumsstr. 52, Winterthur.
Dienstag 10.00 bis 20.00 Uhr, Mittwoch bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 14. November 2021.
www.kmw.ch
Zur Austellung erscheint im November 2021 ein Katalog im Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König.

Charlotte Prodger, B14L5, 2016, © Courtesy Hollybush Gardens and Kendell Koppe
Charlotte Prodger, BRIDGIT, 2016, Filmstill, © Courtesy Hollybush Gardens and Kendell Koppe

Charlotte Prodger (*1974) dürfte ihre Faszination für die assyrischen Reliefs mit vielen Besucherinnen und Besuchern des British Museum teilen. Im Halbdunkel reihen sich die abgenommenen Tafeln aneinander und geben einen Einblick in das Mesopotamien um 800 vor Christus. Die Geschichten aus Nimrud berichten so lebhaft wie feinst herausgearbeitet von erfolgreichen Kriegszügen, der Unterwerfung feindlicher Völker und von Jagden. All das mehrt den Ruhm der damaligen Herrscher. Laufen wir an ihnen vorbei, wirkt die Linearität der Ereignisse so vertraut, dass wir das Fremde fast übersehen. Die Künstler gestalteten die Szenen als wäre der Raum etwas Simultanes, denn es gibt keine ordnende Zentralperspektive. In der Serie „Palace Prints“, die derzeit in Prodgers Ausstellung „Blanks and Preforms“ im Kunst Museum Winterthur zu sehen ist, hat Prodger Aufnahmen der Löwenjagd-Reliefs in ihrem Atelier auf einer Schneidematte für Collagen ausgelegt, auf die ein Koordinatensystem gedruckt ist. Neonfarbene Haftstreifen haben die Seiten markiert. Stand ganz am Anfang ein dramatisches Ereignis wie das einer Jagd, steht bei Prodger die Fotografie einer Fotografie inmitten eines Rasters. In anderen Fotos der Serie wird der Aufbau des historischen Reliefs durch Zeichnungen analysiert. In „Palace Prints“ geschieht, was oft in den Arbeiten der queeren, in Glasgow lebenden Künstlerin passiert: Körper werden gerahmt.

Meist ist es der Körper von Charlotte Prodger selbst, die durch die schottische Landschaft wandert, durch Wasserläufe watet oder sich Abhängen aus Schiefer hochtastet, manchmal bewegt sie sich mit der Bahn, der Fähre oder anderen Transportmitteln durch den Raum. Für Prodger ist es offensichtlich eine Einschreibung in die Landschaft, eine Sichtbarmachung, eine Behauptung ihrer Identität. Anlässlich der Verleihung des Turner-Preises 2018 hatte sie in einem Interview die Verbindung zu queeren Vorbildern wie Samuel Delany und Sandy Stone als nicht statisch beschrieben, als einen fortlaufenden Prozess der Entfaltung, der parallel zum eigenen Leben verlaufe. Sie suche diese als Kontext und Bestätigung und um sich, in sich selbst geerdet zu fühlen.

Prodgers Arbeiten, die sich im Kunst Museum Winterthur in vier Räumen ausbreiten, sind hochgradig codiert. In ihrer Videoarbeit „Forest Hills / Oregon Dacite“ läuft ein junger Mann in Adidas-Sneakern über einen steinigen Abhang. Der Name „Forest Hills“ spielt auf das gleichnamige Quartier im New Yorker Stadtteil Queens an, in dem sich eine große Tennisanlage befindet, die heute nach der ersten offen lesbischen Tennisspielerin und Athletin Billie Jean King heißt. Wer diese Codes nicht kennt oder sie sich nicht erschließen kann, dem bleibt diese Welt ähnlich fern wie die Löwenjagd im antiken Mesopotamien.

Die Freiräume, die sich im Titel dieser Einzelschau andeuten, entstehen jedoch nicht jenseits des Felds der Avantgarde. So bezieht sich eine Soundarbeit auf Gertrude Stein und ihre Texte, und gleich zwei ihrer Arbeiten spielen auf Dennis Oppenheims „Compression Fern (Face)“ aus dem Jahr 1970 an. Einmal liest Charlotte Prodger die Beschreibung dieser Performance vor, das andere Mal verwendet sie Found-Footage-Bilder von Farnen, die sie großformatig aufzieht und hinter Plexiglas rahmt. Schaut man genauer hin, erkennt man mehrere Löcher in gleichem Abstand, sie spiegeln die Lüftungslöcher von Video-Monitoren wider. Tatsächlich haben all ihre Arbeiten eine stark formalistische Seite, die sich in Vintage-Monitoren und technischem Equipment ausdrückt, das ihnen eine ganz eigene skulpturale Qualität verleiht. Sie ist die andere Seite einer Kunst, deren autobiografische Züge auf gesellschaftliche Sichtbarkeit zielen.