Katharina Sieverding, Die Sonne um Mitternacht schauen: Beiläufige Posen

Katharina Sieverding, Gefechtspause II, 2020, Detail, © Katharina Sieverding, VG Bild-Kunst Bonn 2021 Foto: © Klaus Mettig, VG Bild-Kunst Bonn 2021
Review > Baden-Baden > Museum Frieder Burda
11. Oktober 2021
Text: Annette Hoffmann

Katharina Sieverding, Die Sonne um Mitternacht schauen.
Museum Frieder Burda, Lichtentaler Allee 8b, Baden-Baden.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 9. Januar 2022.
www.museum-frieder-burda.de

Alles ist politisch. Die Attacke gegen eine dunkelhäutige Freundin, die von Katharina Sieverding (*1941) in das Gegenteil verkehrt wird, indem sie den Angreifer fotografiert; das Still des puerto-ricanischen Einwanderers aus einem Dokumentarfilm mit dem Schriftzug „The reality has been very different“. Aber auch das von Klaus Mettig geschossene Porträt der Künstlerin im schulterfreien Kleid, das Make-up ist verlaufen, in der einen Hand hält sie einen Drink, die andere Hand führt sie zur Schirmmütze. Mittig läuft über den schwarzen Hintergrund „The great white way goes black“. Der Satz beschwört den Blackout in New York 1977 als das Stromnetz derart überlastet war, dass es zusammenbrach. Während die einen ausgelassene Partys feierten, entzündeten die anderen soziale Unruhen. Es zeigte sich, dass ein Riss durch die Stadt ging. Sieverding visualisiert das Politische in großen Posen, die so kühl sind, dass sie keine Anteilnahme einfordern. Es sind Posen, die nicht als solche angelegt waren, oft ist es erst das Format, das sie dazu macht.

Das Beiläufige findet sich auch in Sieverdings Installation „Eigenbewegung“. Zwischen 1967 und 1969 hielt sie die Kunstaktionen in Beuys’ Klasse, der sie selbst angehörte, fest. Die Kamera erlaubte ihr, beteiligt und unbeteiligt zugleich zu sein. Ein paar Jahre später entstehen zusammen mit Klaus Mettig die 336 Schwarz-Weiß-Aufnahmen von „Motorkamera“ mit dem Selbstauslöser. Die beiden spielen mit Geschlechterklischees und inszenieren die Grenze zwischen Männern und Frauen als durchlässig. Die Installation ist mit weiteren frühen Arbeiten im Kabinett des Museum Frieder Burda zu sehen, wo nach der ersten Station in den Deichtorhallen Hamburg jetzt ihre Retrospektive gezeigt wird.

Als stände über Katharina Sievering immer noch Übervater Beuys, ist im Richard Meier-Bau überall dessen Sound-Arbeit „Jajaja nenene“ zu hören, mit der die Projektion „Eigenbewegung“ unterlegt ist. Das ist ein bisschen verstörend, hatte doch Katharina Sieverding früh eine wiedererkennbare Ästhetik für das Politische gefunden. In neueren Arbeiten überblendet sie anstatt zu montieren. So legen sich in „Global Desire II“ von 2017 die Fotos eines syrischen Flüchtlingslagers und von russischen Soldaten, die sich auf einen Angriffsflug auf syrische Rebellen vorbereiten, übereinander und in „Gefechtspause“ aus dem letzten Jahr verbindet sich die Eröffnung einer Konferenz durch Xi Jinping mit Polizistinnen und Polizisten in Atlanta, die aus Respekt vor George Floyd vor Demonstrierenden niederknien. Sieverding inszeniert hier den ideologischen Konflikt zwischen China und den USA, in den auch die Massenmedien und nicht zuletzt die Fotografie einbezogen sind. Es gibt immer einen Grund, dem öffentlichen Bild zu misstrauen.