Landpartie: Teil 1

Miriam Cahn, FREMD das fremd, 2021, Ansicht vom Aufbau der Ausstellung im Palazzo Castelmur, Foto: © Lukas Wassmann, courtesy the artist
Thema
26. Juli 2021
Text: Redaktion
Gerda Steiner & Jörg Lenzlinger, Schatz & Jardin, 2021, FRAC Alsace, courtesy the artists © Gerda Steiner & Jörg Lenzlinger

Nach einem langen Frühling zuhause wagt sich jetzt auch die Kunst wieder nach draußen. Ein guter Grund, ihr zu folgen. Auf diesen Seiten stellen wir Ihnen die schönsten Ausflugsziele vor.

Miriam Cahn: FREMD das fremde
Palazzo Castelmur
Stampa

Vor fünf Jahren verlegte Miriam Cahn ihr Atelier von Basel ins Bergell, wo sie schon seit längerem lebt. Dort zeigt die 71-Jährige ihre farbig glühenden Bilder über Sexualität, Gewalt, Einsamkeit und Fremdheit nun in der historischen Architektur des Palazzo Castelmur in Stampa. Die üppigen Wandmalereien und die Patina der herrschaftlichen Wohnräume stehen in eigenwilligem Kontrast zu Cahns Credo: Das Politische ist das Persönliche. Zugleich spiegeln sie Cahns Konzept auf sinnfällige Weise. „malerei, zeichnung, fotografie usw. arbeiteten schon immer mit material auf einer fläche und der behauptung, mehr darzustellen als dieses material auf der fläche“, schreibt sie auf der Website zur Schau, „diese behauptung verbindet meine arbeit mit der trompe l’oeil malerei im hauptsaal des Castelmurs vor allem durch die darstellung von perspektive auf flachen trägern“. Elf Räume in dem 1723 als Patrizierhaus erbauten und ab 1850 zum Palazzo erweiterten Anwesen hat Cahn für ihre Ausstellung leer geräumt. Sie platziert ihre Malereien dort nun als räumliche Interventionen. Das Gefühl der Fremdheit, das sie thematisieren, steht auch im Zentrum der Dauerausstellung im Haus, welche die Geschichte der Arbeitsmigration ganzer Generationen von Zuckerbäckern aus dem Bergell nach Norditalien und in die Welt dokumentiert. Nur wenige kamen reich zurück, die meisten schafften den Aufstieg nicht und verarmten in der Fremde. Für Miriam Cahn wirft dieser Blick in die Geschichte drängende Fragen auf: „warum werden in den sich heute entleerenden alpentälern keine migranten aufgenommen, um das langsame aussterben zu verhindern? eine fremde kultur bringt anderes wissen aus der fremde und wir wollen das nicht?“ Sie sagt: „das werde ich nie verstehen nie nie nie.“  

— Bis 20. Oktober 2021.
www.fremddasfremde.eu



Steiner & Lenzlinger
FRAC Alsace
Sélestat

Ein schöner Garten braucht Pflege. Und viel Zeit. Das gilt auch für einen Kunstgarten, wie der FRAC Alsace ihn Ende der 1990er Jahre anlegte. Alle paar Jahre dürfen hier seither ausgewählte Kunstschaffende auf Einladung das 900 Quadratmeter große Areal mit Harke, Spaten und Gießkanne beackern. Nach Bertrand Lavier, Michel Aubry, Jean-Luc Brisson und Nicolas Boulard reckt aktuell das Schweizer Künstlerduo Gerda Steiner & Jörg Lenzlinger den grünen Daumen. Für ihr Gartenprojekt vergruben sie kürzlich 275 persönliche „Schätze“, die ihnen Menschen aus Sélestat und der ganzen Welt nach einem Aufruf („Was ist dir jetzt wichtig?“) im Januar 2021 anvertraut hatten. In zehn Jahren werden die beiden sie wieder ausgraben und mit dem Publikum schauen, was aus ihnen geworden ist. 

— www.frac-alsace.fr



Thomas Hauri
Kloster Schönthal
Langenbruck

In einer Umgebung wie dem Kirchenraum des Klos­ters Schönthal zeigt sich, wie sehr die Bilder von Thomas Hauri auf Strukturen der Architektur aufbauen. Die Farbfelder seiner Arbeiten sind so gegeneinander abgesetzt und ineinander greifend, dass sie zu tragenden Wänden werden könnten. Hauri, der in Basel Kunst studiert hat, interessiert sich für das Vorläufige, das Bestand hat, Entwürfe sind für ihn bindend, Aquarelle keine Vorstudien, die auf die Ausarbeitung warten. Dabei ist die Farbpalette des 1974 geborenen Basler Künstlers zuletzt bunter geworden. Im Kloster Schönthal zeigt sich nun auch, wie sehr die dickwandigen Mauern, die Steine, Fugen und Ritze immer auch monochrome Bilder sind. Voll mit Patina und Geschichte.       

— Bis 12. September 2021.
www.schoenthal.ch



Florian Bach
Art Public Chur

Die Agglomeration merkwürdiger Behausungen „Horst“, die Florian Bach auf das Dach am Seilerbahnweg 15 in Chur gebaut hat, wirkt wie eine Festung. Ein bisschen bedrohlich, ein bisschen wie eine letzte Zuflucht. Wer Häuser baut, lässt sich nieder, aber nicht nur Biedermeier, sondern auch Brandstifter werden häuslich.    

— Bis 31. Oktober 2021.
www.art-public.ch



Not Vital
Baden & Davos

Raum und Zeit sind für Not Vital keine wirklichen Dimensionen. Der 1948 geborene Künstler lebt nicht nur im schweizerischen Sent, sondern auch in Peking und Rio de Janeiro, und überhaupt ist er auf der ganzen Welt zuhause. Aus der Sammlung des Museums Langmatt in Baden hat er sich Werke aus der Han-Dynastie herausgepickt, auf die er sich mit Keramiken bezieht, welche er zwischen die kunsthandwerklichen Objekte der Bibliothek der Villa Langmatt gestellt hat. Doch Not Vital ist auch im Park präsent. Skulpturen in Form von eingeschweißtem Heu ironisieren den gepflegten Garten und machen aus einem englischen Rasen eine Wiese.

Und auch im Kirchner Museum sind draußen Skulpturen von Not Vital zu entdecken. In Davos werden Arbeiten aus der Werkgruppe der Porträts gezeigt, die von allen individuellen Zügen absehen und sich ganz auf die Silhouette konzentrieren. So sind zeitlose Formen entstanden, die für das Menschliche an sich stehen können, aber auch hinreichend Humor entwickeln, dass man alles nicht ganz so symbolisch nehmen muss.      

— www.kirchnermuseum.ch
— www.langmatt.ch



Brigitte Lustenberger
Monthey

Ein ehemaliger Friedhof ist ein ganz passender Ort für die Fotografien von Brigitte Lustenberger. Die Fragilität des Lebens ist das Thema der Berner Künstlerin, die 1969 in Zürich geboren wurde. Auf schwarzem Hintergrund heben sich im Parc de la Torma Porträts, aber auch Blumenstillleben ab. Verschluckt das Dunkle sie oder sind sie von ihm geborgen? Lustenberger porträtiert den Menschen vom Beginn seines Lebens an bis hin zum Alter und so finden sich Fotos von Säuglingen, von einer Schwangeren wie von greisen Menschen. Auch bei den Blumen bildet die Künstlerin ein ganzes Spektrum ab. Ihre Aufnahmen sind in den letzten zehn Jahren entstanden. Unter dem Titel „What is love?“ sind 40 großformatige, auf LKW-Plane aufgezogene Fotografien in dem Park zu sehen: ein ganzer Lebenszyklus. Die Schönheit im Vergehen. Die spektakuläre Aussicht gibt es in Monthey, das im Kanton Wallis liegt, oben drauf, auch sie stößt eine Auseinandersetzung mit Leben und Sterblichkeit angesichts der Erhabenheit der Berge an. Brigitte Lustenberger fotografiert mit Mittel- und Großformatkameras und schwört auf das Tageslicht.    

— Bis 31. Dezember 2022.
www.lufo.ch