Dinge, die wir voneinander ahnen.
Badischer Kunstverein, Waldstr. 3, Karlsruhe.
Dienstag bis Freitag 11.00 bis 19.00 Uhr, Samstag bis Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 19. September 2021.
www.badischer-kunstverein.de
Zur Ausstellung erscheint eine Graphic Novel sowie ein Themenheft des Kunstmagazins springerin, Ausgabe 2/2021, 11,50 Euro.
Die den gesamten Badischen Kunstverein einnehmende Ausstellung „Dinge, die wir voneinander ahnen“ stellt Fragen: Fragen an die Besuchenden, Fragen an die Kunst, Fragen aber auch an die Gesellschaft, um den Umgang mit den Mitmenschen und der uns umgebenden Natur zu überdenken. Dazu passt, dass sie sich auch als Recherche- und Veranstaltungsprojekt versteht, dessen Ziel es ist, gemeinsam mit dem Kooperationspartner tranzit.at ein längerfristiges, trans-europäisches Netzwerk aufzubauen und in weitere Länder zu tragen, um eine Plattform des Austauschs zu bieten. Deshalb ist innerhalb der Ausstellung auch eine reisende Akademie geplant, die von Karlsruhe ausgehend den Diskurs in die assoziierten Länder des Projekts trägt. Diese Idee wurde allerdings durch die Pandemie und die politischen Zustände in Belarus, Armenien und Aserbaidschan erschwert, weshalb die Akademie zunächst als hybride Struktur im Internet und dann mit Aktionen vor Ort agiert.
Im Badischen Kunstverein sind insgesamt 21 künstlerische Positionen aus sieben Gastländern, Österreich und Deutschland zu sehen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Dadurch verdeutlichen sie die Bandbreite der Themen, die in der Ausstellung verhandelt werden: Jenseits der Maske, die seit vergangenem Jahr zum Bild der Pandemie geworden ist, gibt es mit der Klimakrise, dem Kampf um Wasser und weiteren Konflikten, der Frage nach dem (Post-)Kolonialismus und einem demokratischen Europa sowie dem, was Identität im 21. Jahrhundert ausmacht, etliche ganz aktuelle Themen, die europaweit diskutiert werden. Je nach Perspektive fallen die Ansichten und Antworten unterschiedlich aus; Verschiebungen und Verwerfungen in Ökologie, Ökonomien und Nationalstaaten zeugen vom Wandel in den europäischen Gesellschaften.
Ausgangspunkt war für alle Künstlerinnen und Künstler die Frage, was überhaupt ein „Ding“ ist, wann es zum Objekt wird, welche geistige Haltung es transportiert, aber auch welche realen Auswirkungen der Kontext hat, in dem es zu verorten ist. Am deutlichsten wird dies vielleicht bei der textilen Installation von Iulia Toma „#orientswelcome“, bei der die rumänische Künstlerin wilde Tiere aus orientalisch gestalteten Teppichen ausschnitt und an die Wand heftete. Mit solchen Teppichen wurden rumänische Häuser ausgestattet; sie stehen für heimelige Gemütlichkeit – die Motivinhalte wurden nicht hinterfragt, sind aber vor dem Hintergrund der Kolonialismus-Debatte unserer Tage aktueller denn je und zeigen, dass es ein nicht nur die ehemals großen Kolonialmächte betreffendes Thema ist.
Performative Elemente dürfen in einer solchen Ausstellung nicht fehlen, ob als Möglichkeit des Besuchers, seine eigene Position im Wortsinn in Zweifel zu ziehen, indem er die Aussichtsplattform der ZIP Group erklimmt, die an die Balkonkonzerte während der Pandemie erinnert. Oder im Rahmen des Durchschreitens der Schlauchsegmente, die Aleksei Taruts am Anfang des Rundgangs ausgelegt hat. Darin befindet sich vor der Halbinsel Krim geschöpftes Meerwasser, das er zuletzt in den Rhein ablassen will als Hinweis auf die Ressource Wasser, aber auch auf die Konflikte, die bei zunehmender Wasserknappheit um es geführt werden. Das armenische Ekelwort „yakhq“, hübsch im Stickrahmen anzusehen, das Modell für den nicht realisierten „Palast der Sowjets“, rekonstruiert durch Kartonverpackungen, die den Konsum unserer heutigen Zeit und die Hybris gegenüber der Welt reflektieren, können dabei als Gegensatzpaar und Antwort verstanden werden. Der Traum eines paradiesisch schönen Zustands, eines Gebäudes, das heroisches Monument sein soll, zerfällt bei näherem Hinsehen rasch in Fragen über den Zustand unserer Welt. Aus der Perspektive des Astronauten, der im Kartonagemodell über allem thront, bleibt jedenfalls ein Unwohlsein im Angesicht der globalen Probleme, auf die die Künstlerinnen und Künstler reagieren.