Stephan Balkenhol in der Sammlung Walter.
Kunstmuseum Walter, Beim Glaspalast 1, Augsburg.
Dienstag bis Donnerstag 11.00 bis 15.00 Uhr, Freitag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 5. September 2021.
www.kunstmuseumwalter.com
„Lachen und Verstehen sind für mich keine Gegensätze, sondern Humor und Erkenntnis, bisweilen Selbsterkenntnis“, sagt der seit 30 Jahren in einem Atelier in Lothringen arbeitende Bildhauer Stephan Balkenhol (*1957). Es ist dieser ganz besondere Humor, der Balkenhols bildhauerische Arbeiten charakterisiert und der ihn zu einem der wichtigsten und beliebtesten Vertreter der Bildhauerei in unserer Zeit werden ließ. Nun ist eine Rundschau auf neue, teils erst wenige Wochen alte Werke im Augsburger Glaspalast zu sehen.
Bekannt wurde Balkenhol mit großen Arbeiten für den öffentlichen Raum. Seit 2009 ist sein „Balanceakt“ im Bereich der ehemaligen Mauer in Berlin zu sehen, Leipzig beschenkte er mit einem „Wagner-Denkmal“, und für Metz schuf Balkenhol ein Denkmal für eine Ikone der Résistance, den französischen Widerstandskämpfer Jean Moulin. Diese Werke strahlen nichts Andenkenhaft-Gedankenschweres aus. Sie sind, wie auch die neuen Arbeiten aus den Jahren 2020 und 2021, stets dem Leben zugewandt.
In Augsburg dürfen natürlich Balkenhols Männer in schwarzer Hose und weißem Hemd nicht fehlen. Doch entdeckt man auch Unerwartetes, Neues. So findet sich unter den aus Wawa- und Zedernholz gehauenen Gestalten eine französische Serie: Kleine Figurinen, die lose der französischen Historie entnommen sind. Die Anspielungen auf die Pompadour in „Madame“ sind unübersehbar, im „Mann mit Zweispitz“ will man Napoleon erkennen – aber es sind Figuren, die ganz und gar dem Hier und Heute gehören. Da ist nichts Historisierendes, keine Rückgriffe auf vergangene Darstellungsformen, sondern wohlgestimmtes Spiel mit Ikonen und Erinnerung. Balkenhols poetische Geschöpfe sind Sinn- und Identitätssuchende. Das sinnliche Umgehen mit dem Material kennzeichnet diese feingliedrigen Wesen aus im Grunde recht grob behauenem Holz: Körper, Kleidungsstücke, Gliedmaßen wirken bisweilen skizzenhaft und sind in der Reduktion doch zutreffender als eine detailgenaue, realitätstreue Umsetzung es vermöchte. Das erneute Durchspielen einer Idee mündet bei Balkenhol nicht in Manierismen oder seriellen Wiederholungen, sondern in sublimen Varianten, die auch seine „deutsche Serie“ ergreifend machen. Da sehen wir eine „Marlene“ ‒ unverkennbar „die Dietrich“ in ihrem selbstbewussten Gestus. Zugleich ist es eine in sich hineinhorchende Gestalt, die den Zweifel kennt, die Angst. Ein Mädchen in Lederhose, eine junge Frau in einem Streifenshirt – alles Figuren, die mit ihrem direkten, den Betrachter mitunter fast durchbohrenden Blick in unsere Tage gehören: Hoffend auf Antworten unbeantwortbarer Fragen. Der Großteil der neuen Arbeiten entstand während des Corona-Lockdowns. Diese ins Wanken gekommene Zuversicht unserer Zeit ist in die DNA seiner neuen Skulpturen eingeschrieben. So ist zwar „Tetris“ schon 2019 entstanden, mit den in geometrische, dem Spiel nachempfundene Rasterfelder eingeschobenen, manchmal kopfstehenden Männern scheint es aber schon die Wirrnisse und die Einsamkeit des digitalen Lebens während der Pandemie vorauszuahnen.
Sinnvoll ergänzt wird die Ausstellung der neuen Holzarbeiten durch eine Kollektion von kleinformatigen, farbig gefassten Bronzen, ein Best-of aus dem Balkenhol’schen Oeuvre: Da findet man „Balance“ und das eingangs erwähnte Jean-Moulin-Denkmal, auch das „Modell zum Freiheits- und Einheitsdenkmal“ von 2011. Hier wird dann aber auch im Kontrast zu den während des Lockdowns entstandenen Skulpturen sichtbar, was den Balkenhol von 2021 vom Balkenhol der Jahre nach 2000 unterscheidet. Es zeigt sich mehr von der Verwundbarkeit der Welt in den neuen Werken. Balkenhol lässt wie unterm Brennglas Befindlichkeiten und Inneres hervortreten – die Figuren haben noch an Unmittelbarkeit gewonnen. „Die Suche nach den wesenhaften Grundzügen des Menschseins“, wie es der Künstler selbst ausdrückt, ist längst noch nicht am Ende. Doch ist dem Humor, der lyrischen Selbstverständlichkeit seiner Geschöpfe eine Nachdenklichkeit zugewachsen, die ihre Einmaligkeit noch intensiviert.